Dokument1
einen Arm um ihre Schultern. Sie sperrte sich einen Moment dagegen und kam dann. »Es gibt keine andere Möglichkeit«, sagte ich. »Ja, wenn das nicht mit meinem Bein wäre oder du diesen Laster fahren könntest…« Ich zuckte die Achseln.
»Ich habe Angst um dich, Dennis. Ich möchte dir helfen.«
»Du hilfst mir ja schon. Du bist es, die in Lebensgefahr schwebt, Leigh - denn du bist dort drüben ungeschützt an der Wand, wenn sie hereinkommt, während ich hier oben im Fahrerhaus sitze und versuche, diese Schlampe in ihre Bestand-teile zu zerlegen.«
»Ich kann nur hoffen, daß es dir auch gelingt«, sagte sie und legte ihren Kopf an meine Brust. Ich strich ihr über das Haar.
So warteten wir.
Vor meinem geistigen Auge konnte ich Arnie sehen, wie er aus dem Schulgebäude kam, Bücher unter den Arm geklemmt.
Ich konnte Regina sehen, die im Cunninghamschen Familienwagen auf ihn wartete, strahlend vor Glück. Arnie, der sich mit einem entrückten Lächeln von ihr küssen ließ. Arnie, du hast die richtige Entscheidung getroffen… du ahnst ja gar nicht, wie erleichtert und froh dein Vater und ich darüber sind. Ja, Mom. Möchtest du lieber fahren, Liebling? Nein, fahr du, Ma.
Ist schon gut.
Die beiden auf dem Weg zur Penn-Staate-Universität, im leichten Schneetreiben, Regina hinter dem Lenkrad, Arnie im Beifahrersitz, die Hände steif im Schoß gefaltet, kein Lächeln und kein Pickel auf dem blassen Gesicht.
Und auf dem Schülerparkplatz vor der Libertyville High School stand Christine. Wartete darauf, daß das Schneetreiben dichter wurde. Wartete auf die Dämmerung.
So gegen halb vier stieg Leigh aus und ging auf die Toilette durch Darnells Büro, und als sie weg war, schluckte ich noch zwei Darvon. Mein Bein war wie flüssiges Blei.
Kurz darauf verlor ich die Übersicht über den zeitlichen Zusammenhang. Ich glaube, daß die Tabletten einschläfernd wirkten. Meine Umgebung begann eine traumartige Qualität anzunehmen: die sich vertiefenden Schatten, das weiße Licht, das durch die schmutzigen Scheiben in die Halle filterte Und sich allmählich in ein Aschgrau verwandelte, das Flüstern der Heizlüfter an den Dachstreben.
Ich glaube, daß Leigh und ich uns liebten… nicht auf die übliche Weise, nicht mit meinem lädierten Bein, sondern auf eine süße andere Art. Ich glaube, mich noch daran erinnern zu können, wie ihr Atem an meinem Ohr immer schneller wurde und sich zu einem Keuchen steigerte; ich glaube, mich erinnern zu können, wie sie mir zuflüsterte, vorsichtig zu sein, bitte, bitte vorsichtig, denn sie habe schon Arnie verloren und könne es nicht ertragen, nun auch mich noch zu verlieren. Ich glaube, mich erinnern zu können, daß es eine Explosion der Lust gab, die für eine kurze Zeit meine Schmerzen total verdrängte - auf eine Weise, die alle Darvon-Tabletten dieser Welt nicht fertiggebracht hätten… aber kurz war das richtige Wort. Es war alles viel zu kurz. Und dann, glaube ich, bin ich eingenickt. Als nächstes erinnere ich mich wieder deutlich daran, wie Leigh mich wachrüttelte und mir immer wieder meinen Namen ins Ohr flüsterte.
»He? Was?« Ich schwebte im Vakuum, und mein Bein war glasig und voller Schmerz, schien jede Sekunde explodieren zu wollen. Da war ein Schmerz in meinen Schläfen, und meine Augen fühlten sich zu groß für ihre Höhlen an. Ich sah Leigh blinzelnd an wie eine große, begriffsstutzige Eule.
»Es ist dunkel«, sagte sie. »Ich glaube, ich habe was gehört.«
Ich blinzelte wieder und sah, wie verstört und ängstlich sie war. Dann blickte ich zum Garagentor und sah, daß es weit offen stand.
»Wie, zum Teufel, konnte denn das passieren…«
»Ich war es«, sagte sie. »Ich habe die Tür geöffnet.«
»Teufel!« rief ich laut, richtete mich ein wenig auf und zuckte zusammen, als mein linkes Bein dagegen protestierte. »Das war nicht besonders intelligent, Leigh. Wenn sie hereingekommen wäre…«
»Aber sie kam nicht herein«, sagte Leigh. »Es wurde dunkel draußen, das ist alles. Und das Schneetreiben nahm zu. Deshalb stieg ich aus und öffnete die Tür, und dann kam ich wieder hierher zurück. Ich dachte, du würdest jeden Moment aufwa-chen … du hast irgend etwas gemurmelt… und ich habe mir gedacht, >ich werde warten, bis es wirklich dunkel ist, ich werde so lange warten, bis man dort draußen nichts mehr sehen kann«, und dann begriff ich, daß ich mir nur etwas vorlog; denn es ist schon vor einer halben Stunde so dunkel gewesen wie jetzt,
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