Dokument1
grau, daß es zum Fürchten aussah. Er saß völlig hilflos und still da. Sein Gesicht erinnerte mich an Gesichter in einer Nachrichtensendung, die ich vor acht oder neun Jahren gesehen hatte - Gesichter jener Soldaten in den schwarzen Pyjamas, die aus der modernsten und bestausgerüsteten Armee der Welt Hackfleisch gemacht hatten.
»Dennis«, sagte er, »ich werde mich wehren, so gut ich kann.«
10 LeBay scheidet hin
I got no car and it’s breakin my heart, But I got a driver, and that’s a start…
- Lennon and McCartney
Die Kinofassung von Grease war gerade angelaufen, und ich sah mir den Film zusammen mit der Vorturnerin des Jubelchors an diesem Abend an. Ich fand den Streifen blöd, sie fand ihn großartig. Ich saß da und sah zu, wie diese total unmöglichen Teenager herumhüpften und dazu sangen (wenn ich mir realistische Teenager - oder mehr oder weniger überzeugende Teenager - anschauen möchte, dann sehe ich mir eine Wiederholung von The Blackboard Jungle an) und war mit den Gedanken überhaupt nicht dabei. Und plötzlich hatte ich eine Erleuch-tung, wie sie manchmal einen überkommt, wenn man an nichts Besonderes denkt.
Ich entschuldigte mich bei meiner Angebeteten, ging ins Foyer und warf einen Nickel in den Münzfernsprecher. Ich tippte rasch die Zahlen von Armes Telefonnummer ein, die ich schon auswendig gekannt hatte, als ich acht oder neun war. Ich hätte ja warten können, bis der Film zu Ende war; aber dafür war der Einfall einfach zu gut.
Arnie meldete sich selbst. »Hallo?«
»Arnie, hier spricht Dennis.«
»Oh. Dennis.«
Seine Stimme klang so komisch, daß ich mich besorgt erkundigte: »Arnie? Ist alles in Ordnung?«
»Ja, sicher. Ich dachte, du wärst mit Roseanne im Kino.«
»Von dort rufe ich ja auch an.«
»Muß ja ein phantastischer Film sein«, sagte Arnie, »wenn du mitten in der Vorstellung bei mir anrufst.« Seine Stimme klang immer noch bedrückt.
»Roseanne ist begeistert.«
Ich dachte, jetzt würde ein Lachen kommen, aber er blieb still und abwartend.
»Hör zu«, sagte ich, »ich glaube, ich habe eine Lösung.«
»Eine Lösung?«
»Ja«, sagte ich, »LeBay. LeBay ist die Lösung.«
»Le-« Er sagte es mit seltsam hoher Stimme… und dann war wieder Pause. Das beängstigte mich, denn so schweigsam hatte ich ihn am Telefon noch nicht erlebt.
»LeBay«, plapperte ich wieder los. »LeBay hat eine Garage, und ich wette, er würde sogar ein mit Rattengift belegtes Sandwich essen, wenn der Profit dafür hoch genug ist. Ich würde ihm an deiner Stelle ein Angebot von sechzehn oder siebzehn Dollar pro Woche machen…»
»Sehr witzig, Dennis«, unterbrach er mich mit kalter, gehässiger Stimme.
»Amie, was ist…?«
Er legte auf.
Ich stand da, starrte den Hörer an und fragte mich, was, zum Teufel, los war. Hackten seine Eltern wieder auf ihm herum?
Oder hatte sich wieder jemand an Christine vergriffen?
Oder…
Mich überfiel eine Eingebung, fast eine Gewißheit. Ich legte den Hörer auf, ging hinüber zum Verkaufsstand und fragte nach einer Zeitung von heute. Das Mädchen fischte sie aus einem Abfallkorb heraus und betrachtete mich mit kaugummi-verklebten weißen Zähnen, während ich bis zu den Todesan-zeigen durchblätterte.
Auf der ersten Seite fand ich nichts. Ich blätterte um und sah die Schlagzeile: KRIEGSVETERAN AUS LIBERTYVILLE MIT 71
VERSTORBEN, darunter ein Büd von Roland D. LeBay in Uniform, auf dem er mindestens zwanzig Jahre jünger und agiler aussah als Arnie und ich ihn kennengelernt hatten. Der Nach-ruf war sehr kurz. LeBay war unerwartet am Samstagnachmittag verschieden. Er hinterließ einen Bruder, George, und eine Schwester, Marcia. Die Bestattung fand am Dienstag um vierzehn Uhr statt.
Unerwartet.
In den Sterbeanzeigen hieß es immer »nach langer, schwerer Krankheit«, »nach kurzem, schwerem Leiden«, oder »unerwartet«. Unerwartet kann alles bedeuten, vom Gehirnschlag bis zum Stromschlag in der Badewanne.
Ich gab die Zeitung zurück und betrachtete mit leeren Augen die Plakate, die das folgende und übernächste Programm an-kündigten.
Am Samstagnachmittag.
Unerwartet.
Seltsam, wie es im Leben manchmal zuging. Da hatte ich nun die blendende Idee gehabt, daß Arnie Christine vielleicht dort unterstellen konnte, wo sie hergekommen war. Daß er LeBay eine Miete für das Unterstellen bezahlen sollte. Und nun stellte sich heraus, daß LeBay tot war - und daß er eigenartigerweise an dem Tag gestorben war, an dem Arnie mit Buddy
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