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sogenannten Streich steckten. Aber ich glaube, Veronica hätte es damals schon besser gewußt.«
Ich blickte auf meine Uhr. Viertel nach neun. LeBay hatte fast eine Stunde lang geredet.
»Mein Bruder kam 1953 aus dem Korea-Krieg nach Hause und sah seine Tochter zum erstenmal. Er soll sie eine Minute lang angesehen und dann seiner Frau wieder auf den Schoß gesetzt haben. Dann ging er in die Garage, um den Rest des Tages mit seinem alten Chevrolet zu verbringen… Langweile ich Sie, Dennis?«
»Nein«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
»Das, wonach er sich jahrelang gesehnt hatte, war nicht ein Kind, sondern ein fabrikneuer Wagen. Nicht einen Cadillac oder einen Lincoln, er wollte ja nicht zur Oberklasse gehören, zu den Offizieren, den >Scheißern<. Er wollte einen neuen Plymouth, Ford oder Dodge.
Veronica, die uns hin und wieder einen Brief schrieb, beklagte sich darüber, daß ihre Sonntagsausflüge darin bestanden, daß Rollie alle Autohändler seiner jeweiligen Garnisons-stadt abklapperte. Sie und das Baby mußten in dem alten Hörnet, den Rollie damals besaß, sitzenbleiben, und Veronica las der kleinen Rita etwas aus einem Märchenbuch vor, während Rollie von Händler zu Händler zog, von einer Reihe verstaubter Autos zur nächsten, und über Verdichtung, Nok-kenwellen, Pferdestärken und Getriebeübersetzungen redete.
Und wenn ich daran denke, mit welchen Eindrücken so ein kleines Mädchen in den Wohnblocks einer Kaserne aufwächst -
den ganzen Tag brüllende Kommandostimmen im Hintergrund, mahlende Panzerketten, ratternde Maschinengewehre auf den Schießständen - dann weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll.«
Damit lenkte er meine Gedanken wieder auf Arnie. »Sie meinen, er war besessen davon, sich einen Wagen zu kaufen?«
»Ja. Besessen im wahrsten Sinne des Wortes. Es begann damit, daß er Veronica Geld gab, damit sie es vor ihm verstek-ken sollte. Abgesehen davon, daß Rollie es in seinen langen Berufsjahren nie weiterbrachte als - vorübergehend - zum Oberfeldwebel, hatte mein Bruder noch Probleme mit dem Alkohol. Er war kein Alkoholiker; doch alle sechs oder acht Monate stieg er fürchterlich in die Kanne. Und wenn seine Sauftour zu Ende war, hatte er keinen Penny mehr und wußte auch nicht mehr, wo er sein ganzes Geld ausgegeben hatte.
Veronica sollte diesen Exzessen ein Ende setzen. Das war einer der Gründe, weshalb er sie überhaupt heiratete. Sobald er seinen Rappel bekam, verlangte er Geld von ihr. Einmal bedrohte er sie sogar mit einem Messer, setzte es ihr an die Kehle. Das habe ich von meiner Schwester erfahren, die manchmal mit Veronica telefonierte. Doch Veronica ließ sich auch von dem Messer nicht einschüchtern und weigerte sich, ihm die Ersparnisse auszuliefern, die damals, 1955, bereits achthundert Dollar betrugen. >Denk an den Wagen, Liebling<, sagte sie zu ihm, als er ihr das Küchenmesser auf die Kehle setzte. >Du wirst dir niemals einen neuen Wagen leisten können, wenn du das Geld vertrinkst. <«
»Sie muß ihn wirklich geliebt haben«, sagte ich.
»Möglich. Aber bitte, geben Sie sich nicht der romantischen Vorstellung hin, daß ihre Liebe Rollie in irgendeiner Weise verändert hätte. Steter Tropfen höhlt zwar den Stein, aber das dauert ein paar hundert Jahre. Wir Menschen sind sterblich.«
Ihm lag offenbar noch etwas anderes auf der Zunge, aber er sprach es nicht aus. Ich empfand das als seltsam.
»Aber er hat sie nie richtig mißhandelt - weder seine Frau, noch sein Kind«, fuhr LeBay fort. »Und als er sie mit dem Messer bedrohte, war er betrunken. Heute ist die Entrüstung groß über den Drogenmißbrauch in den Schulen, die Entrü-
stung kann ich gut verstehen, es ist obszön, Fünfzehn- oder Sechzehnjährige im Drogenrausch durch die Gegend taumeln zu sehen, aber trotzdem halte ich den Alkohol für die gefährlichste und gemeinste Droge überhaupt - und sie ist erlaubt.
Als mein Bruder 1957 aus der Armee ausschied, hatte Veronica mehr als zwölfhundert Dollar gespart. Dazu kam noch die beträchtliche Abfindung wegen seiner Rückenverlet-zung, die ihn wehruntauglich machte. Er mußte sich dieses Geld von diesen >Scheißern< ertrotzen; er klagte und gewann.
Endlich hatte er viel Geld. Sie kauften sich das Haus, das Sie und Ihr Freund bereits kennen, aber ehe er überhaupt an ein Haus dachte, mußte er natürlich einen Wagen haben. Der Wagen stand bei ihm immer an erster Stelle. Die Besuche bei den Autohändlern erreichten einen fieberhaften
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