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Dokument1

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Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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willkommen im Rainbow-Motel und können ruhig ihre Hysteretomie und vergrößerte Prostata mitbringen! Wir haben zwar kein Kabel-Fernsehen, dafür aber Heizdecken in den Betten. Ich sah überhaupt keine jungen Leute vor den Apartments, und auf dem Spielplatz neben dem Motel warfen die Spielgeräte lange traurige Schatten auf die leere Sandkiste. Über mir knisterten die Neonbuch-staben, als wäre ein Schwärm Wespen in einem Bonbonglas eingesperrt.
    LeBay saß vor Apartment 14, ein Glas in der Hand. Ich ging auf ihn zu und gab ihm die Hand.

    »Möchten Sie auch was trinken?« fragte er. »Im Foyer steht ein Automat mit alkoholfreien Getränken.«
    »Nein, vielen Dank«, erwiderte ich. Ich holte mir einen Klappstuhl von der Terrasse eines leeren Apartments und setzte mich neben ihn.
    »Dann werde ich die Geschichte mal von Anfang an erzählen«, sagte er mit seiner weichen, kultivierten Stimme. »Ich bin elf Jahre jünger als Rollie und beherrsche das Altwerden immer noch nicht richtig.«
    Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her und sagte nichts.
    »Wir waren vier Geschwister«, fuhr er fort. »Rollie war der Älteste, ich der Jüngste. Unser Bruder Drew fiel 1944 in Frankreich. Drew und Rollie waren beide Berufssoldaten. Wir sind hier in Libertyville aufgewachsen. Nur war Libertyville damals viel kleiner als heute, eigentlich nur ein Dorf. Jedenfalls klein genug, daß man seine Bewohner in zwei Klassen einteilen konnte, in die Wohlhabenden und Armen. Wir waren die Armen. Habenichtse oder arme Schlucker, ganz wie Sie wollen.«
    Glucksend schüttete er den Rest der Limonade in sein Glas.
    »Von Rollies Kindheit - er ging schon in die fünfte Klasse, als ich geboren wurde - ist mir nur eine Eigenschaft in Erinnerung, die aber sehr deutlich.«
    »Was für eine Eigenschaft?«
    »Sein Zorn«, sagte LeBay. »Rollie war immer zornig. Er war zornig darüber, daß er in gebrauchten Sachen zur Schule gehen mußte, er war zornig, daß unser Vater ein Trunkenbold war, der sich in keinem Job halten konnte, und er war zornig, daß unsere Mutter ihm nicht das Trinken abgewöhnen konnte.
    Besonders zornig war er auf die drei kleineren Kinder - Drew, Marcia und ich -, weil durch uns die Armut unüberwindlich wurde.«
    Er hielt mir seinen rechten Arm hin und schob den Hemdsärmel hoch, daß ich die dicken Sehnen unter der glänzenden Altmännerhaut sehen konnte - und eine Narbe, die vom Ellenbogen bis zum Handgelenk reichte und dort, sich rot ver-
    ästelnd, versickerte.
    »Das ist ein Geschenk von Rollie«, fuhr er fort. »Ich bekam es, als ich drei Jahre alt war und er vierzehn. Ich spielte mit ein paar bemalten Holzklötzen, die Eisenbahnwaggons und Lastwagen darstellen sollten, auf den Gehsteigplatten vor dem Haus, als er durch die Haustür schoß, wie immer auf den letzten Drücker, wenn er zur Schule mußte. Ich war ihm vermutlich im Weg. Er stieß mich zur Seite, lief weiter, kam wieder zurück und schleuderte mich durch die Luft. Ich landete im Staketenzaun, der das Unkraut und die Sonnenblumen auf unserem Grundstück zusammenhielt - in unserem >Vorgarten<, wie meine Mutter diesen lächerlichen Grünstreifen großspurig nannte. Der Zaun war aus Eisen, und mein Arm war auf einem dieser Eisen aufgespießt. Ich blutete wie ein Schwein, daß die ganze Familie in Tränen ausbrach, als sie auf mein Geschrei hin zusammenlief - bis auf Rollie, der immer wieder brüllte:
    >Geschieht ihm recht, dieser Rotznase! Warum muß er mir auch immer vor den Beinen herumkrabbeln, wenn ich durch die Tür komme!<«
    Ich betrachtete fasziniert die alte Narbe an seinem Arm. Die Wunde war damals verheilt, aber die Narbe war mit ihm gewachsen, Sprosse für Sprosse, wie eine ausziehbare Feuer-wehrleiter.
    Ich erschauerte, als sich mir bei der Betrachtung dieser Narbe ein anderes Bild aufdrängte - wie Arnie zum erstenmal in seinem Leben vom Jähzorn übermannt wurde, wie er mit beiden Fäusten auf das Armaturenbrett meines Wagens einhieb und mit heiserer Stimme dazu schrie: »Das werde ich ihnen heimzahlen, heimzahlen… heimzahlen!«
    George LeBay blickte mich forschend an. Ich weiß nicht, was er mir vom Gesicht ablas, jedenfalls rollte er seinen Ärmel wieder herunter und knöpfte die Manschette zu, als ließe er einen Vorhang über eine fast unerträgliche Vergangenheit fallen.
    Dann nahm er einen Schluck Limo.
    »Mein Vater, der erst abends nach Hause kam - von einem seiner Streifzüge durch die Kneipen, die er uns als >Arbeitsu-che<

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