Dokument1
Außermenschlichen kommen.«
Er sah mich an. »Diese Vorstellung erschreckt mich, wenn ich zu lange darüber nachdenke, Dennis. Es ist eine… nun, sehr unchristliche Vorstellung.«
»Und für Ihren Bruder begann die >Verkauf-Christine-Zeit«
»Vielleicht. Das Buch der Bücher sagt ja, daß es für alles eine Zeit gäbe - die Zeit zum Säen, die Zeit zum Ernten - die Zeit für Krieg, die Zeit für Frieden; die Zeit, wo man die Schleuder weglegt, und die Zeit, wo man für sie Steine sammelt. Für jedes Positivum gibt es ein dazugehöriges Negativum. Und wenn es tatsächlich in Rollies Leben eine Christine-Zeit gegeben hat, wird es auch eine Zeit gegeben haben, sich von Christine zu trennen. Wenn das so ist, muß er es gewußt haben, daß die Zeit reif ist, sich ihrer zu entledigen. Er war ein Tier, und Tiere gehorchen vor allem ihren Instinkten. Oder er hatte den Wagen einfach satt«, schloß LeBay.
Ich nickte zum Zeichen, daß ich das auch für möglich hielt, aber auch, weil ich gehen wollte, obschon ich mit seiner Theorie nicht ganz zufrieden war. George LeBay hatte ja nicht den Wagen an dem Tag gesehen, als Arnie mir zubrüllte, ich sollte zurückfahren. Aber ich hatte ihn gesehen. Der ‘58er Plymouth hatte ganz und gar nicht den Eindruck eines Autos gemacht, das jahrelang friedlich in der Garage gestanden hatte. Er war schmutzig gewesen und verbeult, die Windschutzscheibe voller Sprünge, die hintere Stoßstange fast gänzlich amputiert. Mir war der Schlitten wie eine Leiche vorgekommen, die man exhumiert und dann in die Sonne gestellt hatte, wo sie verwesen sollte.
Ich dachte an Veronica LeBay und erschauerte.
Als läse er meine Gedanken - jedenfalls teilweise -, sagte LeBay: »Ich weiß sehr wenig darüber, wie mein Bruder seine letzten Jahre verbrachte oder welche Gefühle ihn bewegten, aber eines dürfen Sie mir glauben, Dennis: Wenn er 1965 oder so das Gefühl gehabt hätte, die Zeit wäre reif, den Wagen loszuwerden, dann hätte er das getan.«
Er schwieg einen Moment.
»Ich glaube, ich habe Ihnen alles erzählt, was Sie wissen müssen… außer, daß ich wirklich glaube, Ihr Freund wäre besser dran, wenn er den Wagen los würde. Ich habe ihn mir sehr genau angesehen, Ihren Freund. Er sieht mir schon jetzt nicht wie ein zufriedener junger Mann aus. Oder täusche ich mich?«
Ich dachte erst gründlich nach, ehe ich antwortete. Nein, unter einem Glücksstern stand Arme bestimmt nicht, aber bis die Sache mit dem Plymouth passierte, schien er wenigstens zufrieden zu sein, als habe er einen modus vivendi für sein Leben gefunden. Richtig wohl hatte er sich in seiner Haut nie gefühlt; aber das Leben war erträglich für ihn.
»Nein«, sagte ich, »Sie täuschen sich nicht.«
»Ich glaube kaum, daß er mit dem Wagen meines Bruders glücklich wird. Eher das Gegenteil.« Und als könne er abermals meine Gedanken von vorhin lesen, fuhr er fort: »Ich glaube nicht an Hexerei, verstehen Sie? Weder an Geister, Flüche oder an Übernatürliches. Aber ich glaube daran, daß Gefühle und Ereignisse einen schleichenden Nachhall haben können. Es wäre durchaus denkbar, daß Gefühle miteinander Verbindung aufnehmen können, wenn die Umstände so absonderlich sind wie in diesem Fall… eine Verbindung, wie sie eine offene Tüte Milch eingeht, die im Kühlschrank neben einer scharf gewürzten Speise steht. Vielleicht ist das auch nur eine lächerliche Einbildung von mir. Vielleicht liegt es nur daran, daß ich mich wohler fühlen würde, wenn der Wagen, in dem meine Nichte erstickte und in dem sich meine Schwägerin tötete, in einer Schrottpresse zu einem Klumpen Metall verwandelt würde.
Vielleicht ist mein Gefühl auch nur Ausdruck meiner übertrie-benen Ansicht von Schicklichkeit.«
»Mr. LeBay, Sie sagten auf dem Friedhof, Sie hätten jemanden, der sich um das Haus Ihres Bruders kümmern soll, bis es verkauft ist. Stimmt das?«
Er bewegte sich unbehaglich auf seinem Klappstuhl: »Nein, das stimmte nicht. Ich habe ganz spontan gelogen. Etwas in mir lehnte sich gegen die Vorstellung auf, den Wagen wieder in dieser Garage zu wissen, als habe er nach Hause zurückgefunden. Wenn Gefühle und Emotionen auf eine Weise weiterexi-stieren, wie ich sie vorhin geschildert habe, dann mit Sicherheit im Haus meines Bruders und in ihr, dem Wagen.« Dann verbesserte er sich schnell: »In ihm.«
Kurz danach verabschiedete ich mich und folgte meinen Scheinwerfern durch die Dunkelheit nach Hause, während ich über alles
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