Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
schien für ein Fest gekleidet zu sein. Sie reckte sich ein wenig weiter, und dann erspähte sie diejenige, die Paerin meinte. Sie befand sich im ersten Abschnitt ihrer mittleren Jahre und hatte ein Gesicht, in dem es keine scharfen Kanten zu geben schien. Der Umhang, den sie trug, war grau wie Asche. Zwei jüngere Männer standen ihr zur Seite, und der größere, breitere der beiden stellte einen ausgeprägten Seemannsbart zur Schau. Der andere trug einen unauffälligeren Bart.
»Kalliams Frau und Söhne«, sagte sie.
»Ah, Ihr habt sie also schon einmal gesehen.«
»Nein«, erwiderte sie und fing an, die Leute in ihrer Umgebung zu betrachten. Die in Ungnade gefallene Familie starrte einfach geradeaus, ihre Gesichter leer, verzweifelt oder voller Furcht, und die Leute in der Nähe gaben vor, sie nicht zu bemerken. Die drei hätten auch Geister sein können. Niemand sah sie.
Nein, das stimmte nicht. Geder schon. Cithrin beugte sich vor. Geder blickte sie an, und in seinem Gesicht lag kein Zorn oder Rachedurst. Das war interessant. Unten in der Dunkelheit hatte er gesagt, dass er sehen wollte, wie jede Erniedrigung zurückgezahlt wurde, und das glaubte sie ihm. Aber nun wirkte er furchtsam.
Das Dröhnen einer Trommel kündigte die Ankunft des Gefangenen an, und nicht weit von Geder und Aster entfernt öffnete sich eine kleine hölzerne Tür. Der Mann, der hindurchtrat, hatte graues Haar, das ihm aus dem Gesicht gestrichen war. Er trug Bauernkleider aus Leinen; auf dem Hemd und der Hose waren zahlreiche Schmutzflecken. Seine Haltung war königlicher als die von Geder, und das auf eine Art und Weise, dass sie sich ein klein wenig für Geder schämte.
Dawson Kalliam, Patriot und Verräter, musste sich inmitten des Raumes hinknien, Wachen mit gezogenen Schwertern zu jeder Seite hinter ihm. Aster warf ihm einen beunruhigten Blick zu.
Cithrin biss sich auf die Lippen. Was bekam sie hier zu sehen? Geders Zurückhaltung stand in seiner ganzen Haltung geschrieben und wurde von jeder Bewegung unterstrichen. Als er sich räusperte, verfiel der Hof in Schweigen.
»Ich wurde von den … Söhnen des Hauses Kalliam darum ersucht, dass sie sprechen dürfen. Ich gebe hiermit der Bitte von Jorey Kalliam vom Haus Kalliam statt.«
Die Menge murmelte, als der jüngere Sohn hervortrat. Also entsprach das nicht der Erwartung. Geder machte der Familie des Mannes, der versucht hatte, ihn zu töten, ein Geschenk. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er im Gegenzug wollte. Die Augen von Lady Kalliam waren geschlossen, ihr Gesicht beinahe so grau wie ihre Kleider. Der größere der Söhne hielt ihre Hand.
»Lordregent Palliako«, sagte Jorey Kalliam. Er hatte eine freundliche Stimme. Stark, ohne überwältigend zu sein. »Mein Prinz, ich komme, um vor Euch zu sprechen. Bitte wisst, dass ich meinen Vater sehr liebe und dass ich ihn für den aufrichtigen Dienst achte, den er der Krone in der Vergangenheit erwiesen hat.«
Das Murmeln der Menge verriet ihr, dass diese Gefühle nicht sonderlich viel Anteilnahme fanden, aber der Mann hob das Kinn und fuhr fort.
»Seine jüngste Unternehmung war jedoch …« Das Wort ging unter, als dem jüngeren Kalliam dabei die Stimme versagte. »Diese jüngste Unternehmung war Verrat. Und im Namen meines Hauses verleugne ich meinen Vater, Dawson Kalliam. Ich weise seinen Namen zurück und bekräftigte meine Treue zur Krone.«
Jorey Kalliam beugte das Knie und senkte den Kopf. Ein Blick in die Runde zeigte, dass die gesamte Aufmerksamkeit auf dem Vater lag, dessen Sohn gerade seinen Namen zurückgewiesen hatte, aber Cithrin interessierte sich mehr für Geder. Er blickte nicht den jungen Mann an. Seine Augen waren auf den Priester gerichtet, und sie waren ängstlich. Basrahip gab irgendein Zeichen, das zu klein war, als dass sie es hätte erkennen können, aber die Erleichterung, die in Geders Haltung einfloss, war eindeutig zu sehen. Neben ihr schnalzte Paerin leise mit der Zunge, was bedeutete, dass er das Gleiche beobachtet hatte.
»Hat Jorey Kalliam dem Lordregenten gerade die Erlaubnis erteilt, seinen Vater zu töten?«, murmelte Cithrin.
»Ich weiß nicht«, sagte Paerin. Er beherrschte den Kniff, die Lippen kein bisschen zu bewegen, während er sprach. »Aber von irgendwoher hat er die Erlaubnis. Seht, wie fest entschlossen er nun ist.«
Es stimmte. Die Art, wie Geder sich hielt, hatte sich völlig verändert. Die Aufregung und Unsicherheit waren wie weggewischt. Es wirkte, als könnte jeden
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