Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
die in seinen Adern hausten, um zu erkennen, dass das eine Lüge war. Die Frau lächelte zu ihnen herauf. Jetzt waren sie am Zug.
»Ich bin ein Freund von Epetchi«, sagte Meister Kit.
»Und deshalb unterhalte ich mich mit Euch«, entgegnete sie. Das Seil floss ihr in Schlingen über die Arme und ergoss sich auf den Boden.
»Ich kann bezahlen«, erklärte Kit und warf ihr eine kleine Lederbörse zu. Sie öffnete sie nicht, sondern prüfte nur das Gewicht auf der Handfläche.
»Ist da Gold drin?«
»Silber. Ein wenig Kupfer.«
»Und ein hübscher Stein, den ich hineingelegt habe«, sagte Marcus. »Wenn wir diesen Tanz jetzt einstellen könnten: Was wird das hier« – er deutete auf das Deck des Bootes – »dorthin bringen?« Er deutete auf das Meer, das sich in die Ferne nach Süden erstreckte.
Die Frau blickte ihn an, dann wandte sie sich wieder an Kit. »Wer ist er?«
»Mein Name ist Marcus Wester.«
»Aber sicher doch«, sagte sie, ohne ihn anzublicken.
»Sein Name ist Marcus Wester«, bekräftigte Kit. »Und ja, es ist der Marcus Wester.«
»Ist er nicht.«
»Hört mir zu«, sagte Kit mit einem Seufzen. »Hört auf meine Stimme. Dieser Mann ist Marcus Wester. Er ist es tatsächlich.«
»Und zwar schon bevor die Leute viel Gewese darum machten«, sagte Marcus.
Adasa Orsun steckte die Börse in ihre Jacke. »Also gut«, sagte sie. »Holt Eure Sachen. Die Flut kommt in sechs Stunden, und wir werden damit auslaufen.«
»Weil jedermann unbedingt mit mir unterwegs sein will?«, fragte Marcus.
»Gibt eine gute Geschichte ab«, erwiderte sie und wandte sich wieder ihren Seilen zu. »Ihr beeilt Euch besser. Besorgt auch etwas Gutes zu essen, wenn Ihr schon dabei seid. Ich habe genug, um uns alle am Leben zu erhalten, aber ich besitze ein Schiff, keine Küche.«
Während sie den langen Weg über die pechgetränkten Baumstämme zurückgingen, aus denen die Mole bestand, schüttelte Marcus den Kopf. »Mir gefällt das nicht«, sagte er. »Sie kennt uns nicht. Nicht richtig. Was, wenn ich ein schrecklicher, gemeiner Gewaltmensch wäre? Ich meine, ich bin vor allem dafür bekannt, meinen Arbeitgeber getötet zu haben. Man möchte nicht meinen, dass es dadurch verlockender wird, mit mir unterwegs zu sein.«
»Ich glaube, dass wir die Geschichten sind, die sich die Leute über uns erzählen«, sagte Kit.
»Nein«, erwiderte Marcus. »Sind wir nicht. Wir sind mehr als das. Und unsere Freundin auf dem Boot dort geht ein unkluges Risiko ein, indem sie uns mitnimmt.«
»Vermutlich«, sagte Kit. »Ich bin aber trotzdem froh, dass sie es macht.«
C LARA
CLARA KONNTE NICHT SAGEN, ob die Dunkelheit die ganze Stadt erfasst hatte, das Königreich, die gesamte Welt oder nur sie. Wenn die Sonne am Morgen aufging, schien der Himmel trüber als bisher. Wenn sie etwas aß, schien das Salz schaler und weniger schmackhaft zu sein. Sie schlief wenig, wachte mitten in der Nacht auf und starrte zu einer Decke empor, die nicht ihr gehörte. Manchmal vergaß sie, weshalb Dawson nicht neben ihr war, und dann erinnerte sie sich und spürte, wie die Verzweiflung sie erneut überrollte. Als würde es alles noch einmal geschehen.
Aber sie gestattete sich keinen Stillstand. Wenn sie innehielt, würde sie sich nie wieder bewegen, dessen war sie sich sicher. Sie würde dann nicht sterben, das nicht. Sie würde einfach nur da sein, reglos, grau und schweigend. Eine steinerne Statue ihrer selbst.
»Guten Morgen, Mutter«, sagte Barriath, als er das kleine Esszimmer betrat. »Die Eier sind fertig.«
»Danke, mein Lieber«, erwiderte sie. »Du hast gut geschlafen, hoffe ich?«
»Gut genug.«
In einer besseren Welt wäre er inzwischen schon wieder fort gewesen. Zurück im Norden und bei den Schiffen. Sein Platz war bei der Flotte. Stattdessen verbrachte er den Tag brütend, suchte Schenken auf. Und sie würde stattdessen durch die Straßen wandern, Innenhöfe betreten, in denen sie nur selten willkommen war, und sich darum kümmern, dass ihre Familie all das überlebte, so gut sie konnte. Oder zumindest der Teil davon, der nicht gestorben war.
Als der Regen gekommen war, hatte es keinen heftigen Wolkenbruch gegeben, sondern nur ein langsames, leises Nieseln, das alles feucht werden ließ, ohne etwas zu reinigen. Die roten Steinbogen des Lias-Tores wirkten wie die Kohlen eines Feuers, das beinahe niedergebrannt war. Die Bärenskulptur vor der Bruderschaft des Großen Bären sah weniger wie ein staubfarbener Hund aus, der auf den
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