Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
die Luft, während Geder versuchte, mit seinem eigenen eine Parade hinzubekommen. Die Klingen stießen klirrend aufeinander, und der Rückstoß beim Aufprall schmerzte in Geders Fingern. Aster wirbelte herum, die Klinge dicht am Körper, und stieß dann vor. Geder erkannte den Angriff zu spät. Asters Streich traf ihn an der Schulter, rutschte von der ledernen Duellkleidung ab und endete an seinem Ohr. Der Schmerz war stechend und verwirrte ihn. Das Schwert war vergessen, er drückte eine Hand fest auf das Ohr, stolperte zurück und fiel auf sein Hinterteil. An seinen Fingern war Blut. Er hörte Asters Klinge klirrend zu Boden fallen und blickte auf. Die Augen des Prinzen waren entsetzt aufgerissen.
Geder lachte und hielt die blutige Hand hoch. »Schau!«, rief er. »Meine erste Duellnarbe. Gott sei Dank ist die Klinge nicht scharf, sonst hättest du mir das Ohrläppchen abgetrennt.«
»Es tut mir leid«, sagte Aster. »Es tut mir so leid. Ich wollte nicht …«
»Ach, hör schon auf«, entgegnete Geder. »Das weiß ich doch. Es geht mir gut.«
Er rappelte sich hoch. Der Duellplatz seines Anwesens war im hinteren Garten, abseits der Straße. Alte Eschen umstanden den festgetretenen Lehmboden, ihre Wurzeln hoben die alte Steinmauer an und durchzogen sie mit Rissen. Weiße Rosen zeigten bereits üppige Blätter, aber noch kaum Knospen. Wenn sie sich erst einmal öffneten, würde der Hof in weißen Blüten ertrinken. Aster lächelte unsicher, und Geder grinste.
»Du bist ein Krieger und ein Mann von unendlicher Tugend, mein Prinz«, sagte Geder und machte eine überschwängliche Verbeugung. »Ich unterwerfe mich dir auf dem Feld der Ehre.«
Aster lachte und verbeugte sich formell. »Wir sollten das Ohr mit Honig behandeln lassen«, meinte der Prinz.
»Dann also zurück zum Haus«, stimmte Geder zu.
»Ich laufe mit dir um die Wette.«
»Was? Du würdest gegen einen armen, verletzten …«, begann Geder und rannte dann in Richtung Haupthaus. Hinter sich hörte er Asters Protestschrei und dann das Hämmern seiner Schritte.
Geders Jugend hatte zum Großteil in Bruchhalm stattgefunden. Als Sohn des Grafen hatte er die Privilegien des Adels besessen, aber nur sehr wenig damit anzufangen gewusst. Es hatte genug Diener und Knechte gegeben, aber der Abstand zwischen dem höchstgeborenen Bauern und dem Erben der Ländereien war zu groß gewesen, um ihn zu überbrücken. Sein Vater hatte nicht viel für den Hof übrig, und daher hatte Geder nicht die Gelegenheit gehabt, andere Jungen seines Standes kennenzulernen. Er las Bücher aus der Bibliothek und errichtete aufwendige Bauwerke aus Zweigen und Seilen. Im Winter ging er in schwarzen Pelz gekleidet an den gefrorenen Flüssen entlang. Im Frühling trug er Bücher ans Grab seiner Mutter und setzte sich neben ihren Stein, um zu lesen, bis abendliche Schatten im Tal aufzogen.
Er hatte sich nie als einsam betrachtet. Er hatte nichts gehabt, womit er sein Leben vergleichen konnte, und daher war ihm alles daran normal vorgekommen. Wie es immer gewesen war. Wie es immer sein würde.
Als er seine Reife erlangt und die Welt des Hofes betreten hatte, war es überwältigend, aufregend und erniedrigend gewesen. Jeder kannte sich besser aus als er. Er hatte sich manchmal gefühlt, als gäbe es eine Geheimsprache, in der jeder außer ihm unterrichtet worden war. Wenn jemand etwas sagte, das für Geder völlig harmlos klang – eine Bemerkung zur Länge eines Mantelsaums, einen einfachen Vers, eine Anspielung auf die Drachenstraßen, die an Bruchhalm vorbeiführten, aber nie hindurchgingen –, kicherten seine Freunde. Geder wusste nicht, worüber sie lachten, und so nahm er an, dass sie sich über ihn lustig machten. Früher oder später taten sie das auch, ob es nun von Anfang an so gewesen war oder nicht. Erst nach Vanai hatte er sich den Respekt des Hofes erworben. Und mit Respekt meinten sie Angst. Es gefiel ihm, dass man sich vor ihm fürchtete, denn es bedeutete, dass niemand ihn auslachte.
Aster andererseits war ein echter Freund. Ja, der Prinz war beinahe zehn Jahre jünger als Geder und sein ganzes Leben lang von Freunden und Spielkameraden umgeben gewesen. Ja, er kannte den Hof besser, als Geder ihn je kennen würde. Aber er war ein Junge und Geders Mündel, und sie gaben einander Sicherheit. Geder konnte mit ihm auf Bäume klettern, sich im Duellieren üben, um die Wette laufen und um Mitternacht in den Brunnen baden. Mit einem Mann seines eigenen Alters hätte Geder zu
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