Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
zitterte. »Ich habe nicht nachgedacht, als ich Aster angenommen habe. Ich meine, Ihr habt so gesund ausgesehen. Ich hätte mir nie vorgestellt … Oh, Eure Majestät, es tut mir leid. Es tut mir so leid.«
»Hört mir zu«, sagte Simeon. »Bei Sonnenuntergang habe ich mehr Tatkraft, aber die Verwirrung wird größer. Wir haben nicht lange Zeit für das Gespräch. Ihr müsst die Audienz mit Lord Eschfurt halten. Versteht Ihr? Wenn es an der Zeit ist, wird das Eure Aufgabe sein. Schützt Aster. Schließt Frieden mit Asterilreich.«
»Das werde ich.«
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um sämtliche Angelegenheiten ordentlich zu hinterlassen, aber meine Macht ist nicht mehr das, was sie einst war.«
In dem düsteren Gemach wirkte Simeon schon halb wie ein Geist. Sein linkes Auge hing herab, als stünde sein Fleisch bereits kurz davor, von den darunterliegenden Knochen abzufallen. Seine Stimme war undeutlich, und er ruhte auf einem Berg aus Kissen, die aufgeschichtet waren, um seine kraftlose Wirbelsäule zu stützen. Geder wollte glauben, es wäre vielleicht eine schreckliche Krankheit, von der man sich erholen konnte, aber vor ihm war nichts, das diese Vermutung bestätigte. Simeon wollte etwas sagen, und dann schien er einen Moment lang die Konzentration zu verlieren.
»Ich weiß nicht, weshalb er hier ist«, erklärte Simeon.
»Ihr habt mich holen lassen, Eure Majestät.«
»Nicht Ihr. Der andere. An der Tür. Und was hat er an?« Simeon wirkte verärgert. Und dann verängstigt. »Oh, mein Gott. Weshalb hat er das an?«
Geder wandte sich um, um zum leeren Eingang zu blicken, und Entsetzen strich über seinen Rücken hinab. Der Kundige legte Geder eine Hand auf die Schulter.
»Seine Majestät wird Euch heute Abend nicht mehr weiterhelfen können«, sagte der Kundige. »Wenn er wieder bei Verstand ist, werden wir nach Euch schicken, in Ordnung?«
»Ja«, antwortete Geder. »Danke.«
Die Nacht hatte erst begonnen, und ein schmaler Mond schwebte weit oben in der Dunkelheit. Geder ließ sich von einem Diener in seine Kutsche helfen und lehnte sich dann mit dem Rücken an das dünne Holz. Der Fahrer rief dem Gespann etwas zu, und die Pferde setzten sich in Bewegung. Sie waren beinahe auf der Silberbrücke, als Geder nach vorn sprang und durch das schmale Fenster nach oben rief: »Nicht nach Hause. Bringt mich zum Tempel.«
»Mein Herr«, erwiderte der Fahrer und wendete.
Die Fackeln leuchteten in ihren Halterungen. Sie brannten so sauber, dass sie keinen Ruß an den Säulen hinterließen. Das Banner aus Spinnenseide hing noch da, aber in der Dunkelheit war sein Rot ebenso düster wie das achtfache Siegel. Geder hielt auf den Stufen inne und wandte sich um. Die Stadt breitete sich vor ihm aus; Laternen und Kerzen spiegelten die Sterne wider wie ein Abbild auf ruhigem Wasser. Die Königshöhe, der Spalt, die Anwesen der Adligen und die Hütten der Gemeinen. Über all das würde er befehlen. Es beherrschen. Er würde der Beschützer des Reiches sein, Anteas, und des jungen Aster. Er wäre Regent und damit im Grunde König, und Antea würde seinem Willen gehorchen.
Er hörte nicht, wie Basrahip heraustrat, nicht weil der große Priester leise war, sondern weil Geders Gedanken erst halb in seinem Körper angelangt waren. Die andere Hälfte schwankte zwischen Euphorie und Panik.
»Prinz Geder?«
Das breite Gesicht wirkte besorgt. Geder setzte sich auf die Stufen. Der Stein hatte noch etwas von der Hitze des Tages gespeichert. Basrahip raffte den Saum seiner Robe zusammen und setzte sich neben Geder. Einen langen Augenblick saßen die beiden Männer schweigend da, wie Kinder, die am Ende des Tages müde in eine Seitengasse blickten.
»Der König wird sterben«, sagte Geder. »Und ich werde seinen Platz einnehmen.«
Das Lächeln des Priesters war feierlich. »Die Göttin begünstigt Euch«, erklärte er. »So ist die Welt für jene, die ihren Segen haben.«
Geder drehte sich um. Die Brise ließ Wellen über das dunkle Banner wandern, und ein schleichendes Entsetzen ergriff von ihm Besitz. »Sie wird doch nicht … ich meine, die Göttin tötet doch nicht um meinetwillen den König? Oder?«
Basrahip lachte leise und voller Wärme. »Das ist nicht ihre Art. Die Welt setzt sich aus kleinen Leben und kleinen Toden zusammen, weil sie es so will. Nein, sie erschafft die Wellen nicht, sie bringt nur ihre Auserwählten an Orte, an denen sie von ihnen stets nach oben getragen werden. Sie ist geschickt und
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