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Dollars

Dollars

Titel: Dollars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerben Hellinga
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sechs Uhr wieder weggegangen. Sie schlich ganz leise die Treppe hinunter, um mich nicht zu stören. Ich habe sie trotzdem gehört, habe aber nicht aus dem Fenster geschaut. Ich war noch halb im Schlaf. Es kommt schon mal vor, daß ich schlafe, nicht oft, aber manchmal. Ich lag noch auf der Couch.« Sie zeigte auf einen lilafarbenen Diwan in einer Ecke am Fenster, offenbar hatte sie kein Bett. »Bis jetzt ist sie nicht zurückgekommen.« Sie verstummte, ihr Blick hatte plötzlich etwas Abwesendes.
    Ich nickte und war froh, daß sie nicht meine Hauswirtin war. Mir fiel ein, daß Jeanette schon im Flugzeug gesagt hatte, ihre Hauswirtin hätte einen Spleen. Was das heißen sollte, hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht verstanden, aber jetzt konnte ich ihr nur recht geben.
    »Wer ist dieser Schwager?« hakte ich vorsichtig nach.
    »Sind Sie wirklich ein Freund von Jeanette?« fragte sie plötzlich mißtrauisch.
    »Ja, wirklich«, beteuerte ich etwas treudoof.
    »Aus Rom?«
    Wieso auch nicht? »Ja, genau, aus Rom.«
    »Gut, ich glaube, ich kann Ihnen trauen. Ich werde Ihnen nicht die Karten legen und Ihnen auch nicht aus der Hand lesen, aber darf ich Ihnen sagen, wann Sie geboren sind?«
    »Nur zu«, erwiderte ich und sah sie amüsiert an.
    »Zwischen dem neunundzwanzigsten Dezember und dem zweiten Januar«, sagte sie prompt. Es stimmte, ich bin am einunddreißigsten Dezember geboren. Jetzt fand ich es schon nicht mehr so amüsant. Ich hasse solchen übernatürlichen Hokuspokus. Womöglich konnte sie auch noch Gedanken lesen.
    »Das stimmt, ich bin am einunddreißigsten Dezember geboren. Sagenhaft, wie Sie das erraten haben!«
    »Jeanettes Schwager«, fuhr sie ohne Überleitung fort, »hat auch Ende Dezember Geburtstag. Sie würden sicher gut mit ihm auskommen, wo sie beide Steinbock sind. Er ist italienischerJournalist. Er kommt sie oft besuchen, meistens, wenn sie gerade von einem Flug zurück ist. Hin und wieder ist sein Freund dabei, auch ein Italiener. Sehr gutaussehend, wahrscheinlich Fisch. Jeanette mag ihn sehr. Er kommt auch häufig allein, wann immer es ihm paßt. Schade, daß er was mit ihrem Schwager zu tun hat. Ihr Schwager ist sehr häßlich.« Sie verzog das Gesicht. »Haben Sie vielleicht eine Zigarette für mich?«
    Ich bot ihr eine Zigarette an, gab ihr Feuer und zündete mir selbst auch eine an. Das Gespräch begann mich zu interessieren.
    »Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Campari schmeckt bei diesen Temperaturen besonders gut.«
    »Gerne.«
    Sie erhob sich und ging aus dem Zimmer. Ich schaute mich noch einmal um und entdeckte ein gerahmtes Foto an einer der Wände. Ich konnte meine Neugierde nicht unterdrücken und schaute es mir aus der Nähe an. Es war eine Aufnahme von einer jungen Frau in weißer Tropenkleidung und mit einem Tropenhelm auf dem Kopf. Sie hatte einen ihrer gestiefelten Füße auf den Kopf eines toten Tigers gestellt, und ihr linker Ellbogen ruhte auf dem Kolben einer doppelläufigen Jagdflinte, die mit dem Lauf in den Boden gespießt war. Eigenartigerweise weinte sie. Obwohl das Foto vor mindestens dreißig Jahren gemacht sein mußte, erkannte ich Frau Effimandi sofort. Sie war früher sehr schön gewesen.
    Während ich mir noch das Foto anschaute, kam sie wieder herein. Ich fühlte mich ertappt. »Das sind Sie«, sagte ich geistlos.
    »Der Tiger hatte eine Woche vorher meinen Mann gefressen«, entgegnete sie, während sie ein Tablett mit zwei Gläsern Campari auf ein Tischchen stellte. »Wasser? Eis?«
    »Gern.« Ich wechselte schnell das Thema. »Jeanette bekommt also häufig Besuch?«
    »O ja, Freunde und Freundinnen. Stewardessen, Piloten, nettejunge Leute.« Sie reichte mir ein Glas. »Sie gibt oben oft Partys, mich lädt sie auch immer ein. Sie hat auch oft Übernachtungsbesuch, vor allem aus dem Ausland. Ich glaube, man lernt bei der Fliegerei viele Menschen kennen. Für ihre engsten Freunde liegt immer ein Schlüssel unter ihrer Fußmatte. Aber ihr Schwager weiß das nicht.«
    Ich trank einen Schluck Campari. »Hat sie einen festen Freund?« fragte ich vorsichtig.
    Sie nickte. »Sie wird manchmal schwach, wer nicht, aber
    trotzdem bleibt sie auch ihrem verbannten König treu.« Ihr verbannter König, wer mochte das nun wieder sein?
    Sie beugte sich zu mir herüber und fragte in vertraulichem
    Ton: »Kennen Sie eigentlich ihre Schwester?«
    Ich hatte Jeanette noch nie von einer Schwester sprechen hören, also konnte ich wahrheitsgetreu verneinen. »Nein.« »Sie hat auch

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