Dolly - 04 - Dolly, die Klassensprecherin
es wird dir abgenommen“, sagte Fräulein Pott traurig. „Einstweilen muß Susanne Sprecherin sein – so lange, bis wir glauben, daß wir dir die Verantwortung wieder übertragen können. Wenn du dich selbst nicht in der Gewalt hast, kannst du auch nicht auf andere aufpassen.“
Bald war die Nachricht in der ganzen Schule bekannt. „Wißt ihr schon? Dolly Rieder ist als Klassensprecherin zurückgetreten. Es hat einen ganz schrecklichen Spektakel gegeben… Irgend etwas mit einer Mitternachts-Party, und sie hat tatsächlich Mädchen aus einem anderen Turm eingeladen… und auch noch welche aus der ersten Klasse. Schrecklich! Stellt euch nur vor, daß ausgerechnet Dolly Rieder solche Schande erlebt!“
Auch Felicitas erfuhr es und erschrak furchtbar. Sie ging sofort zu Irmgard und vergaß ganz, daß sie ja „geschnitten“ wurde.
„Bist du etwa hingegangen und hast uns verpetzt?“ fragte sie in scharfem Ton. „Oder was ist geschehen?“
Triumphierend erzählte Irmgard ihr alles von Anfang bis zu Ende. „Das hat die vierte Klasse davon, daß sie mir eins auswischen wollte und mich in den Klassenbann schickte!“ sagte sie. „Ich habe es Alice hübsch zurückgezahlt. Und du hättest nur Dollys Gesicht sehen sollen, als sie mich schüttelte und Fräulein Pott dazukam! Ich freue mich, daß sie nicht länger Klassensprecherin ist. Geschieht ihr recht!“
Felicitas traute ihren Ohren kaum. Sie zitterte am ganzen Leibe.
Irmgard bemerkte es erstaunt. „Was ist denn los?“ fragte sie. „Du bist doch meine Freundin, oder etwa nicht?“
„Das war ich. Hast du denn vergessen, daß Dolly meine Schwester ist?“ sagte Felicitas mit erstickter Stimme.
Irmgard starrte sie an. Das hatte sie tatsächlich vergessen!
„Ich fühle mit Dolly… Ich möchte dich auch schütteln und dich schlagen, du abscheuliches falsches Biest!“ rief Felicitas. „Ich werde jetzt zu Gaby gehen und ihr alles genau erzählen, was du mir gesagt hast. Das ist kein Petzen, sondern ein Bericht über eine Schlechtigkeit, die man kaum für wahr halten möchte! Pfui! Du solltest von der Schule gewiesen werden. Wie konnte ich nur jemals dich als Freundin haben wollen!“
So kam die Freundschaft zwischen Felicitas und Irmgard zu einem jähen Ende und wurde niemals erneuert. Felicitas stöberte Steffi auf, und die gab ihr den Trost, den sie brauchte. Irmgard hätte sich selbst ohrfeigen können, weil sie vergessen hatte, daß Felicitas Dollys Schwester war. Aber das Unglück war geschehen. Felicitas hatte Irmgards wahres Gesicht gesehen, und es gefiel ihr ganz und gar nicht.
Die vierte Klasse war über die Ereignisse entsetzt. Alle hielten zu der armen Dolly. Sogar Evelyn sagte ihr ein paar nette Worte.
Freilich war ihre Freundlichkeit nur äußerlich. Unmittelbar nachdem sie Dolly erklärt hatte, wie leid es ihr tue, vertraute sie Clarissa an, in Wahrheit überrasche es sie gar nicht, daß Dolly in Ungnade gefallen sei.
„Ich habe dir doch erzählt, wie sie mich einmal geschlagen hat“, meinte sie. „Und einmal hat sie Susanne ganz niederträchtig lang hingeworfen. Es wird ihr guttun, wenn sie einmal eins aufs Dach kriegt. Ich habe Dolly nie gemocht.“
Clarissa sah Evelyn mit plötzlichem Widerwillen an. „Wie kannst du das sagen, nachdem du ihr gerade versichert hast, daß sie dir leid täte und daß du alles tun würdest, um ihr zu helfen?“ fragte sie. „Ich finde das gemein, Evelyn.“
Und zu Evelyns größter Überraschung drehte die sanfte, schwächliche Clarissa ihr den Rücken zu und ging fort. Es hatte Clarissa viel gekostet, das zu sagen, und sie weinte, als sie wegging.
Sie stieß auf Will, die gerade zum Reiten loszog. „Hallo, Clarissa, warum weinst du?“ rief Will erstaunt. „Was ist los?“
„Ach, nichts.“ Clarissa wollte nichts gegen Evelyn sagen.
Will kannte gegen Traurigkeit nur ein Heilmittel: Reiten! Das bot sie Clarissa jetzt an: „Komm mit zum Reiten. Es ist jetzt himmlisch. Du sagtest doch, daß du reiten darfst, wenn du magst. Ich weiß, daß noch ein Pferd frei ist. Fräulein Peters kommt auch.“
Ein anderes Mal hätte Clarissa wohl nein gesagt, weil es ihr schwerfiel, etwas Neues zu beginnen, und in Möwenfels war sie bisher noch nicht geritten. Aber nun, von Wills ehrlicher Freundlichkeit gerührt und in dem Wunsch, von Evelyn wegzukommen, nickte sie.
„Ja. Ich ziehe mir schnell die Reithosen an. Bitte warte auf mich.“
Und zu Evelyns sprachlosem Erstaunen galoppierten eine Viertelstunde später Fräulein
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