Dolly - 05 - Dollys großer Tag
einem Buch auf den Tisch und bat um Ruhe. Sofort trat Schweigen ein. Man gehorchte ihr fast immer automatisch; sie hatte die richtige Stimme: kurz und scharf.
Die Versammlung begann. Dolly wurde aufgerufen, um das Stück und seine Personen zu erklären und den ersten Akt vorzulesen.
Sehr aufgeregt und mit glühendem Gesicht gab sie den Zuhörern einen kurzen Überblick. Man hörte ihr mit großer Aufmerksamkeit zu. Es klang sehr vielversprechend.
Dann las Dolly, anfangs mit unsicherer Stimme, den ersten Akt, den Dialog, die Lieder, die Bühnenanweisungen…
„So, das ist das Ende des ersten Aktes”, sagte sie schließlich und hob schüchtern ihre Augen, um zu sehen, ob sie die Zuhörer mitgerissen hatte oder nicht.
Die Mädchen klatschten und trampelten und riefen Beifall. Dolly freute sich so, daß ihr heiß wurde und sie sich die Stirn abwischen mußte.
Martina schrie nach Ruhe.
„Da habt ihr also gehört, was für ein prima Stück Dolly und Susanne geschrieben haben”, sagte sie. „Das meiste hat Dolly gemacht, aber auch Susanne hat ausgezeichnet gearbeitet. Ihr könnt euch denken, wieviel Beifallsstürme wir ernten werden, wenn wir das aufführen!”
„Wer macht den Spielleiter?” fragte Betty.
„Ich”, erwiderte Martina prompt. „Hat jemand etwas dagegen?”
Viele Gesichter waren ablehnend. Niemand bezweifelte Martinas Organisationstalent, aber man war unsicher über ihre Fähigkeit, das Beste aus den Schauspielern herauszuholen.
„Ich bin der Meinung, es sollte lieber zwei Regisseure geben”, rief jemand.
„Einverstanden”, sagte Martina sofort. Es machte ihr nichts aus, wieviel es sein würden, wenn sie nur dabei war. „Wer soll der andere sein?”
„Betty! Betty!” rief die halbe Klasse. Martinas Miene verfinsterte sich. Das war offensichtlich geplant gewesen. Betty, Alices heitere, sorglose, kluge Freundin.
Betty grinste in die Runde und nahm ihren Platz am Tisch wieder ein. „Danke schön”, sagte sie. „Geht in Ordnung.”
„Jetzt müssen wir die Rollen besetzen”, fing Martina an. „Wir haben sie schon alle mehr oder weniger ausgesucht. Ich lese sie euch vor.”
Evelyn und Margret hielten den Atem an. Gab es für sie eine Hoffnung, Cinderella zu spielen? Oder auch nur die gute Fee? Oder den Prinzen?
Martina las: „Cinderella – Marlies.”
Marlies, Evelyn und Margret zogen hörbar die Luft ein. Marlies vor Erstaunen, die anderen beiden vor Enttäuschung. „Oh… das kann ich nicht!” rief Marlies.
„Doch”, sagte Dolly. „Wir brauchen jemand mit großen Augen, der ein bißchen eingeschüchtert aussieht, jemand, der gleich Sympathie erregt, und es muß jemand sein, der ein bißchen singen kann.”
„Du bist genau richtig für die Rolle”, meinte Susanne. „Mach nur so große, ängstliche Augen, Marlies… du bist das Ebenbild der Cinderella.”
Alle lachten. Auch Marlies mußte mitlachen, und ihre Augen begannen zu glänzen. „Ich hätte nie geglaubt, daß ihr mich wählen würdet”, sagte sie.
„Haben wir aber!” sagte Dolly. „Du spielst recht gut und hast eine hübsche Singstimme.”
„Den Prinzen spielt Margot”, fuhr Martina fort. Das wußten schon alle, denn der Prinz hatte sehr viel zu singen, und Margot würde wunderbar sein. Ihre Stimme war wieder strahlend schön. Irene hatte nach Dollys Texten ein paar sehr hübsche Melodien geschrieben. Alle klatschten.
„Der Baron… Will”, sagte Martina, und die Mädchen brachen in vergnügtes Gelächter aus.
„O ja, Will, die in Reithosen daherstampft und nach ihrem Pferd ruft!” rief Clarissa amüsiert.
„Die gute Fee… Linda”, las Martina weiter. Die Mädchen sahen sich nach Linda um. Sie war ein schlankes Mädchen aus dem Südturm, mit blonden Locken und einer schönen, klaren Stimme.
„Hurra!” schrien die Mädchen aus dem Südturm, froh, daß endlich jemand aus ihrem Turm eine Rolle bekommen hatte.
„Wer spielt die häßlichen Schwestern?” rief eine Stimme.
Evelyn fiel plötzlich das Herz in die Kniekehlen. Die häßlichen Schwestern! Wenn nun sie eine davon sein sollte? Das hätte sie nicht ertragen. Sie bemerkte, wie Alice sie verschmitzt ansah, und war sicher, daß man sie gewählt hatte.
Sie stand auf, sagte, daß sie sich nicht gut fühle, und ging auf die Tür zu. Alice grinste. Sie erriet Evelyns Gedanken.
In Margret ging etwas Ähnliches vor. Sie dachte an ihre Kaninchenzähne. Martina könnte sie wie geschaffen für eine häßliche Schwester halten.
„Die häßlichen Schwestern – Petty
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