Don Camillo und Peppone
breitete die Arme aus.
«Es war unabhängig von meinem Willen», sagte er. «Um jede Möglichkeit eines Zwischenfalls zu vermeiden, hatte ich mich während der Kundgebung aus dem Ort entfernt. Ich konnte nicht wissen, daß diese Leute später vor dem Wirtshaus Molinetto sitzen würden. Hätte ich es gewußt, wäre ich bis in die Nacht draußen geblieben.»
«Und doch, als du zum erstenmal umgekehrt bist, wußtest du schon, daß sie dort trinken», erwiderte Christus. «Warum bist du zurückgefahren?»
«Ich hatte mein Brevier im Hause, in dem ich während der Kundgebung war, vergessen.»
«Rede keinen Unsinn, Don Camillo», rief Christus streng. «Das Brevier war in deiner Tasche. Das kannst du nicht abstreiten.»
«Ich werde mich hüten», wandte Don Camillo ein. «Es war in der Tasche, ich dachte aber, daß ich es liegen gelassen habe. Als ich die Hand in die Tasche steckte, um mein Taschentuch zu nehmen, fand ich das Brevier, da war ich aber schon wieder am Wirtshaus vorbei. Infolgedessen mußte ich wieder umkehren. Du weißt, es gibt keine andere Straße.»
«Du hättest dich wieder in das Haus begeben können, in welchem du während der Kundgebung warst. Du wußtest nunmehr, daß die Leute vor dem Wirtshaus waren, und hattest bereits gehört, was sie dir nachschrieen.
Warum hast du es nicht vermieden, ihnen eine Gelegenheit zu geben, ihre Schlechtigkeit zu zeigen, obwohl du es hättest tun können?»
Don Camillo schüttelte den Kopf. «Jesu», sagte er ernst, «wenn es Gottes Gebot ist, daß der Mensch den Namen Gottes nicht unnötig nennen soll, warum hat dann Gott den Menschen die Sprache gegeben?»
Christus lächelte. «Sie hätten schon eine Möglichkeit gefunden, den Namen Gottes zu verfluchen, wenn nicht anders, dann schriftlich oder durch die Stummensprache», antwortete er. «Der wahre Grund aber ist, daß die Tugend gerade darin besteht, nicht zu sündigen, obwohl man die Mittel und den Trieb besitzt, zu sündigen.»
«Wenn ich also als Buße drei Tage fasten will, darf ich nicht eine Medizin nehmen, die mich jeglichen Appetit verlieren läßt, sondern ich muß meinen Hunger bestehen lassen und ihn beherrschen.»
«Don Camillo», sagte Christus besorgt, «wohin willst du mich bringen?»
«Ergo, wenn ich, nachdem ich bis zum Straßenende gekommen bin, Gott zeigen will, daß ich seinem Gebot gemäß meine Triebe beherrschen kann und jenem, der mich beleidigt, zu verzeihen weiß, darf ich die Versuchung nicht vermeiden, sondern ich muß sie gelassen an mich herankommen lassen und noch einmal an jenen Lausbuben vorbeifahren.»
Christus schüttelte den Kopf. «Ein großer Trugschluß ist darin, Don Camillo. Du sollst deinen Nächsten nicht in Versuchung führen, du sollst ihn nicht zur Sünde einladen, du sollst ihn nicht herausfordern.»
Don Camillo breitete traurig die Arme aus.
«Vergib», seufzte er, «jetzt verstehe ich meinen Fehler. Nachdem also der Umstand, daß ich diese Kleidung, auf die ich noch vor kurzem so stolz war, in der Öffentlichkeit zeige, eine Versuchung für so viele Leute und eine Herausforderung zur Sünde bedeutet, werde ich entweder nicht mehr das Haus verlassen oder nur noch als Straßenbahnschaffner verkleidet herumlaufen.»
Christus wurde ein wenig besorgt. «Das sind sophistische Subtilitäten. Ich will aber mit einem, der Nägel schluckt, um böse Taten zu rechtfertigen, nicht diskutieren. Ich will noch zugeben, daß du vielleicht in gutem Glauben warst, als du zum drittenmal vorbeifahren wolltest. Wie erklärst du aber die Tatsache, daß du vom Fahrrad abgestiegen bist und begonnen hast, Tische und Bänke zu schwingen, anstatt Gott zu zeigen, daß du deine Triebe beherrschen und die Beleidigung vergeben kannst?»
«Ich habe einen Berechnungsfehler und eine Hoffartssünde begangen. Ich habe nämlich die Zeit schlecht berechnet, und als ich vom Fahrrad abstieg, war ich überzeugt, daß wenigstens zehn Minuten seit der letzten Beleidigung, die ich gehört hatte, vergangen waren. Da bemerkte ich aber, daß ich gerade vor dem Wirtshaus war, weil in Wirklichkeit nur einige Sekunden vergangen waren.»
«Sagen wir lieber: einige Bruchteile einer Sekunde, Don Camillo.»
«Jawohl, Herr. Und die Hoffartssünde bestand darin, daß ich gedacht habe, Gott werde mich erleuchten und mich in die Lage versetzen, meine Instinkte vollkommen zu beherrschen. So ist es, Jesu: ich habe zu sehr auf Dich vertraut.
Wenn Du meinst, daß zuviel Glaube bei einem Priester zu verurteilen
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