Don Camillo und seine Herde
erlaubt, wieder herunterzukommen.»
Peppone verhielt sich eine Zeitlang still, dann schlug er sich mit einer Hand auf den Schenkel.
«Wenn, zum Beispiel, der Damm jetzt unter uns brechen würde, nachdem die Leute kaum mit der Räumung begonnen haben, denken Sie nur, welch großartiges Ende das gäbe.»
«Wenn wir uns jedoch dadurch gerettet hätten, daß wir den Damm auf der anderen Seite aufgerissen und das Unglück vieler anderer Leute verursacht hätten, wäre es noch schlimmer. Wenn ich nicht irre, Herr Bürgermeister, gibt es doch einen gewissen Unterschied zwischen Unglück und Verbrechen.»
Gegen Abend begann das Wasser zu fallen. Don Camillo und Peppone verließen den Damm und kehrten in das nunmehr leere Dorf zurück, denn es waren alle Leute ausgerissen.
Als sie am Kirchplatz angelangt waren, blieben sie stehen. «Du könntest auch Gott danken, daß er deine Haut gerettet hat», sagte Don Camillo zu Peppone. «Er hat dir diesen Gefallen erwiesen!»
«Schon», erwiderte Peppone, «er hat mir aber auch das Mißvergnügen erwiesen, daß Ihre Haut gerettet wurde, und so sind wir quitt.»
8
Die Glocke
Der große Damm hatte sich nicht um einen Millimeter gerührt, und am nächsten Morgen kamen einige, die am Vortag aus Angst zu früh geflüchtet waren, ins Dorf zurück, um noch etwas von ihren Sachen aufzuladen.
Gegen neun geschah etwas, was niemand erwartet hatte.
Das Wasser hatte unter dem Damm einen Durchlaß ausgehöhlt und schoß plötzlich aus dem Boden hervor.
Gegen einen solchen Springbrunnen ist kaum etwas zu machen. Und diejenigen, die zurückgekehrt waren, brachten sich mit Karren und Lastwagen in Sicherheit.
Don Camillo hatte bis drei Uhr nachts gearbeitet, um alle Sachen aus dem Erdgeschoß in den ersten Stock und auf den Dachboden zu bringen. Er war allein und hatte wie ein Besessener geschuftet. Schließlich hatte er sich aufs Bett geworfen und war in einen eisernen Schlaf gefallen.
Er wachte um halb zehn auf, als er die Flüchtenden schreien hörte. Bald hörte man kein Geräusch mehr, und als Don Camillo ans Fenster trat, sah er nur den verlassenen Kirchplatz.
Dann stieg er auf den Turm, von oben konnte man alles ausgezeichnet übersehen. Das Wasser hatte den tiefer gelegenen Teil des Dorfes erreicht und kam langsam näher.
Don Camillo ging zum andern Fenster und sah auf dem Hauptdamm Leute, die verzweifelt auf das Dorf blickten.
Jene, die mit Karren und Lastwagen geflüchtet waren, hatten sich mit Haustieren und geretteter Habe in den umliegenden Nachbardörfern zu den anderen Flüchtenden gesellt. Sie ließen die Kinder bei den Karren, damit sie auf die Sachen aufpaßten, während sie selbst mit Rädern und Motorrädern auf der Straße am Damm bis vor ihr bereits überschwemmtes Dorf zurückfuhren.
Sie schauten stumm auf das Dorf, und jeder sah auf eine halbe Meile sein Haus, wenn er es auch nicht sah.
Niemand sprach; die alten Weiber weinten lautlos.
Sie standen da und sahen, wie ihr Dorf starb - und sie sahen es bereits tot.
«Es gibt keinen Gott!» sagte mit hohler Stimme ein Alter.
In diesem Augenblick ertönte eine Glocke.
Es läutete eine Glocke. Man konnte sich nicht täuschen, wenn auch das Geläute ungewöhnlich klang.
Alle Augen waren jetzt nur noch auf den Glockenturm gerichtet.
Als Don Camillo die Menge auf dem Hauptdamm gesehen hatte, war er wieder hinuntergestiegen. Das Wasser hatte bereits zwei von den drei Stufen am Kirchentor bedeckt.
«Jesus, vergib mir, daß ich vergessen habe, daß heute Sonntag ist», sagte Don Camillo und kniete vor dem Hochaltar nieder.
Bevor er in die Sakristei ging und sich ankleidete, begab er sich in die dunkle Turmkammer und erfaßte einen Glockenstrang, in der Hoffnung, daß es der richtige sei. Es war der richtige, und die Leute auf dem Hauptdamm hörten den Ruf der Sonntagsglocke und sagten:
«Die Elf-Uhr-Messe!»
Die Frauen falteten die Hände, und die Männer nahmen die Hüte ab.
Don Camillo las die Messe. Und als die Stelle kam, an der er zu den Gläubigen zu sprechen hatte, kümmerte sich Don Camillo nicht darum, daß die Kirche leer war, er sprach zu jenen auf dem Hauptdamm.
Das Wasser hatte bereits die dritte Stufe erreicht und war im Begriff, einen dünnen, kalten und glänzenden Schleier auf dem Boden der Kirche auszubreiten.
Das Tor war weit aufgerissen, und man sah den Platz mit den im Wasser stehenden Häusern und den grauen und unheildrohenden Himmel.
«Brüder», sagte Don Camillo. «Die Fluten
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