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Don Fernando erbt Amerika

Titel: Don Fernando erbt Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Fingernägel betrachtete. »Sie glauben gar nicht, wie oft ich das schon probiert habe.«
    Plötzlich brüllte er los: »Sie glauben gar nicht, wie viele Male ich schon in diesem Scheißarchiv war und die Urkunde nicht bekommen habe.«
    Der Bürgermeister war erschreckt zurückgefahren.
    »Aber diese Urkunde ist doch sicher irgendwo abgedruckt«, sagte er unsicher.
    »Ja«, Colon wirkte plötzlich müde, »sie ist irgendwo abgedruckt. In mehr Büchern, als Sie sich vorstellen können. Aber ich brauche das Original. Und Sie, Herr Bürgermeister, bleiben in diesem netten Keller, bis ich die Urkunde in meinen Händen halte.«
    »Nein!«, sagte der Bürgermeister fest. »Das Archiv gibt niemals Originale aus.«
    »Diesmal doch!«, sagte Colon mit gewinnendem Lächeln. »Denn Sie müssen doch auch an Ihre Wähler denken, Herr Bürgermeister, die Wahl ist in zwei Wochen. Wie außerordentlich peinlich, wenn Sie Ihre Stimme nicht persönlich abgeben könnten. Selbstverständlich würde ich Ihnen Briefwahl zugestehen, denn Sie sind ja tatsächlich verhindert, nicht wahr?«
    Der Bürgermeister dachte nach.
    »Und diese Urkunde ist wirklich alles, was Sie wollen?«
    »Alles!«, bestätigte Colon. »Und das ist mehr als genug.«
    »Also gut«, sagte der Bürgermeister. »Was muss ich tun?«
    Colon sagte es ihm.
    Archive sind eine sehr gute Sache. In ihnen wird rund um die Welt das Wissen der Menschheit aufbewahrt. In Archiven steht alles, was jemals an klugen Ideen niedergeschrieben wurde. Archive sind wichtig. Jedes entscheidende Dokument wird in Archiven sicher und wohlgeordnet verwahrt. Im Archiv gibt es keine Unordnung und keine Unsicherheit. In Archiven sind alle großen Entdeckungen, alle schicksalsträchtigen Gesetzesurkunden und alle wunderbaren Erfindungen besser aufgehoben als das Patent für den Wassermotor im Safe von Mercedes-Benz.
    Allerdings weiß man nicht, für wen.
    Nicht für die Menschheit, das steht fest.
    In Archiven hatte sich sofort, nachdem das erste Regal in irgendeinerzugigen Laubhütte in Ägypten die erste Papyrusrolle aufgenommen hatte, ein spezieller Typus der menschlichen Gattung gebildet. Wahrscheinlich entwickelte er sich aus dem Pergamentstaub. Und seit diesem ersten Exemplar ist jeder Archivar in seiner genetischen Disposition unveränderlich festgelegt. Er lebt nach drei Regeln, die sich in Tausenden von Jahren niemals verändert haben:
    1. Spüre jedes Originaldokument auf und bringe es ins Archiv.
    2. Ordne es nach den sieben geheimen Systemen des universalen Chaos ein.
    3. Lass es nie – nie – jemanden außerhalb der Archivargilde sehen. 3
    Fernando Colon hatte hinreichend Erfahrung mit Archiven gesammelt, um zu wissen, dass er sein Dokument durch die schlichte Amtsautorität des entführten Bürgermeisters nie bekommen würde. Er hatte von Anfang an auf den Druck der Öffentlichkeit gehofft und deshalb für den Bürgermeister einen längeren Kelleraufenthalt geplant. Nur um seinen guten Willen zu zeigen, erlaubte er dem Bürgermeister, seinem Sekretär eine Notiz zu schreiben, in der er ihn darum bat, das Dokument aus dem Archiv zu besorgen. Als Colon den Zettel sah, lächelte er still in sich hinein. Es würde mehr als einen Sekretär mit einem Brief vom Bürgermeister brauchen, um in das Nürnberger Stadtarchiv einzudringen. Er persönlich hoffte auf eine Hundertschaft Polizei.

    3   Die möglichen Konsequenzen dieser – sowieso nie eintretenden – Pflichtverletzung sind in einem zehnbändigen alphabetischen Werk niedergelegt, das in jedem Archiv links neben dem Eingang steht und von A wie Absolute atomare Vernichtung bis Z wie Zentrum des Universums, Zusammenbruch des , reicht. Jeder Archivar kennt dieses Werk auswendig, weshalb die meisten Archivare dahin tendieren, sich nicht einmal selbst die Dokumente anzusehen. Sie nummerieren sie bloß nach dem Tag des Eingangs und legen sie ab.

 9 
    »Mein Gott, kann er das nicht selbst machen? Deswegen muss ich ins Archiv? Es sind nur noch zwei Wochen bis zur Wahl und der Blödmann meint, ich hab nichts anderes zu tun, als für ihn ins Archiv zu gehen.«
    Leo Kretschmer, der Sekretär des Bürgermeisters, wanderte missmutig durch die Gänge hinunter ins Archiv. Hinunter? Ihm wurde bewusst, dass er gar keine Ahnung hatte, wo das Archiv war. Er war noch nie dort gewesen. Wenn er irgendwelche Dokumente brauchte, rief er immer nur dort an und ließ sich eine Kopie hochschicken. Hoch? War das Archiv nun unten? War es überhaupt im Rathaus?

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