Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft
ihn, ob er wisse, daß sie ihre Form verloren hatte.
»Das ist lauter Unsinn!« rief er.
Er starrte mich an, als wollte er sich an meinem überraschten Gesicht weiden. Dann schlug er den Ellbogen vor die Augen und kicherte wie ein ertapptes Kind.
»Naja, das hat sie wohl«, sagte er. »Sie ist einfach großartig.«
»Aber warum verachtest du sie dann?«
»Ich will dir was sagen, Maestro, weil ich dir vertraue. Ich verachte sie überhaupt nicht. Sie ist die Beste von allen. Sie ist die Frau des Nagual. Ich benehme mich so zu ihr, weil es mir Spaß macht, mich nachsichtig zu behandeln. Und das tut sie. Sie wird nie böse auf mich. Ich kann machen, was ich will. Manchmal laß ich mich hinreißen, ich stürze mich auf sie und will sie schlagen. Dann springt sie einfach auf die Seite, wie der Nagual es zu tun pflegte. Eine Minute später kann sie sich nicht einmal mehr erinnern, was ich getan habe. Das ist eine wahrhaft formlose Kriegerin, das sag ich dir. Und so macht sie es mit jedem. Aber wir anderen sind eine traurige Bande. Wir sind wirklich böse. Diese drei Hexen hassen uns, und wir hassen sie wieder.«
»Ihr seid doch Zauberer, Pablito! Könnt ihr denn nicht mit diesem Hickhack aufhören?«
»Sicher können wir, aber wir wollen nicht. Was erwartest du denn von uns. Sollen wir wie Brüder und Schwestern sein?«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
»Sie waren die Frauen des Nagual«, fuhr er fort, »und doch erwarteten alle von mir, ich solle sie nehmen. Wie um Gottes willen soll ich das schaffen? Bei einer hab ich's versucht, und statt mir zu helfen, hat diese miese Hexe mich beinah umgebracht. Und jetzt sind alle diese Weiber hinter mir her, als hätte ich ein Verbrechen begangen. Dabei habe ich nur die Befehle des Nagual befolgt. Er sagte mir, ich müsse mit jeder von ihnen intim werden - eine nach der anderen, bis ich sie alle gleichzeitig haben könnte. Aber ich konnte nicht einmal mit einer intim sein.« Ich wollte mich nach seiner Mutter, der Dona Soledad, erkundigen, aber an diesem Punkt sah ich keine Möglichkeit, das Gespräch auf sie zu lenken. Wir schwiegen eine Weile. »Haßt du sie für das, was sie dir angetan haben?« fragte er ganz unvermittelt. Ich sah meine Chance.
»Ganz und gar nicht«, sagte ich. »La Gorda hat mir ihre Gründe erklärt. Aber Dona Soledads Angriff war furchtbar. Siehst du sie denn noch oft?«
Er antwortete nicht. Er blickte zur Decke hinauf. Ich wiederholte meine Frage. Dann bemerkte ich, daß ihm Tränen in den Augen standen. Er zitterte am ganzen Leib. Er wurde von lautlosem Schluchzen geschüttelt. Er sagte, er habe einmal eine wunderbare Mama gehabt, an die ich mich zweifellos erinnern könne. Sie hieß Manuelita, eine heiligmäßige Frau, die zwei Kinder aufgezogen und wie ein Pferd gearbeitet hatte, um sie zu ernähren. Für diese Mutter, die ihn geliebt und aufgezogen hatte, empfand er die tiefste Verehrung. Aber eines furchtbaren Tages, so erzählte er weiter, erfüllte sich sein Schicksal und er begegnete unglücklicherweise dem Nagual und Genaro, und diese beiden zerstörten sein Leben. Mit aufgewühlter Stimme sagte Pablito, diese beiden Teufel hätten seine Seele und die Seele seiner Mutter geraubt. Sie hätten seine liebe Manuelita getötet und diese grauenhafte Hexe Soledad zurückgelassen.
Aus tränenverschleierten Augen blickte er mich an und sagte, daß diese widerliche Frau gar nicht seine Mutter sei. Sie könne unmöglich seine Manuelita sein.
Er schluchzte hemmungslos. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Sein Gefühlsausbruch war so echt, und seine Behauptungen klangen so wahr, daß mich tiefes Mitgefühl für ihn erfaßte. Vom Standpunkt eines durchschnittlichen zivilisierten Menschen mußte ich ihm beipflichten. Es sah tatsächlich so aus, als sei es ein großes Unglück für Pablito, daß er Don Juan und Don Genaro begegnet war.
Ich legte ihm den Arm um die Schultern und fing beinah selbst an zu weinen. Nach langem Schweigen stand er auf und ging hinters Haus. Ich hörte, wie er sich schnäuzte und sich in einem Eimer das Gesicht wusch. Als er zurückkehrte, hatte er sich etwas beruhigt. Er lächelte sogar.
»Versteh mich nicht falsch, Maestro«, sagte er. »Ich mache niemand verantwortlich für das, was mir widerfahren ist. Es war mein Schicksal. Genaro und der Nagual handelten als die makellosen Krieger, die sie waren. Ich bin einfach schwach, das ist alles. Und ich bin an meiner Aufgabe gescheitert. Der Nagual sagte, ich hätte
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