Don Juan de la Mancha
doch verrückt, dachte ich, ich heirate eine Wildfremde. Ich drehte mich um, sah die Familien, die, weil ich zu ihnen hinschaute, sofort lächelten, meine Mutter tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen ab, mein Vater lächelte mit schiefem Mund, die vielen fremden Menschen, und einen fremden Menschen sollte ich jetzt heiraten, ich sah wieder Martina an, sie sah mir in die Augen, lächelte, so lieb und zugleich so streng. Wie eine Lehrerin, die lieb ist, solang man nichts falsch macht. Hatte sie mich schon einmal so angeschaut? So? Mir war dieser Blick nicht vertraut, das war nicht der Blick einer Vertrauten. Trauung. Mit einer Unvertrauten. Nein, dachte ich, ich muss Nein sagen. Ich atmete tief durch. Ich muss bei Sinnen bleiben, ich muss mich jetzt konzentrieren, ich muss die Kraft aufbringen, ich muss Nein sagen. Wenn ich ein Mann bin, dann sage ich jetzt Nein.
… So antworten Sie mit Ja.
Ich muss, dachte ich, ich muss jetzt Nein sagen. Ich sah auf den Standesbeamten. Er sah mich an, er nickte aufmunternd, ich wandte mich noch einmal um zu den Familien, sah Martina an, dann wieder den Standesbeamten. Eine Kopfdrehung wie ein viel zu schneller Kameraschwenk, sodass nichts mehr zu erkennen war, alles verwischt und konturlos, was ist da zu sehen, ich weiß nicht, wer ist das, ich weiß nicht. Das war doch verrückt, warum so schnell? Warum haben wir nicht einfach beschlossen, zusammen zu leben, bis es sich von selbst zeigt, ob wir zusammenbleiben oder nicht. Warum so schnell die Ewigkeit? Der Standesbeamte sah mich an. Ich schwieg. Sah den Standesbeamten an. Er sah mich an. Wie lang war das? Sekunden? Die erste Sekunde der Ewigkeit. Ich musste Zeit gewinnen.
Können Sie die Frage bitte wiederholen?, sagte ich.
Das Raunen im Publikum. Der erschrockene Schrei meiner Mutter. Das kurze Auflachen meines Vaters. Das unendliche Staunen in Martinas Augen. Ihr harter Mund. Der Standesbeamte wiederholte ungerührt die Formel. Und ich, mittlerweile völlig erschöpft, sagte mit letzter Kraft: Ja.
21.
Beim Hochzeitsessen hielt mein Vater eine Rede. Er sagte, dass er, Martinas Familie kennenlernend, begeistert sei. Eine Bilderbuchfamilie. Das gebe Hoffnung für seinen Sohn, da sei Familienglück geradezu programmiert. Andererseits, er stelle sich vor, er wäre der Brautvater und hätte jetzt die Familie des Bräutigams, also seines Sohns, kennengelernt. Er sah meinen Schwiegervater an, machte eine Pause. Und sagte: Dann wäre er verzweifelt.
Gelächter. Aber es war nur meine Familie, die lachte. Die Martina-Familie sah drein, als betete sie still den Rosenkranz.
Nach dem Essen brachen wir auf in die Hochzeitsreise. Das geht nur, wenn man jung heiratet. Ich könnte mir heute nicht vorstellen, zu heiraten, ein Hochtzeitsessen und ein Fest zu haben, und dann nüchtern ins Auto zu steigen. Offenbar ging das damals, ich weiß nicht mehr wie. Am Sekt nippen. Mit dem Wein nur anstoßen. Wasser zum viergängigen Menü. Ich weiß es nicht mehr. Dass ich es schaffte, bei diesem Hochzeitsfest nicht zu trinken, ist mir heute noch unbegreiflicher als die Entscheidung, zu heiraten. Der Schwiegervater hatte uns zur Hochzeit ein Auto geschenkt. Ein gebrauchtes. Ich habe Martina geheiratet, nicht Anne. Es hatte Geldgeschenke gegeben, und es gab noch einen Rest vom Kasinogewinn. Wir fuhren los. Martina hatte sich die Cinque-Terre als Destination für die Hochzeitsreise gewünscht. Gut, sagte ich, Monterosso. Dort hatte Ferry Radax den Film »Sonne halt!« gedreht, der damals bereits als Klassiker der österreichischen Avantgarde galt. Ich hatte ihn erst wenige Wochen zuvor bei einer Radax-Retrospektive im Filmmuseum gesehen. Retrospektiven für Jung-Filmer – das gab es nur in Österreich. Andererseits: Radax war der älteste Jungfilmer der Welt. Der Film zeigte nichts anderes als den österreichischen Dichter Konrad Bayer, wie er in Monterosso auf einer Terrasse vor dem Meer Banjo spielt und singt: »Schlaf, Kindlein schlaf, bist ja gar ein böses Kind, machst alle Puppen kapuuutt, und wenn sie dann gestorben sind, machst du sie nicht wieder guuut.« Immer wieder und immer wieder. Da droht die Sonne unterzugehen, Konrad Bayer legt das Banjo weg, nimmt ein Gewehr, sagt »Sonne halt!«, schießt – und der Film friert ein im Standbild der durch die Kugel an den Himmel angenagelten Sonne. Ich hatte damals zu solcher Avantgardekunst ein Verhältnis, wie es heute Jugendliche zu Robbie Williams oder Madonna haben. Vielleicht bin ich auch
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