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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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korrekt ausgesprochen hatte. Im Auto leierte der Steppenchor in die nächste Runde, und die beiden sangen leise mit und wiegten sich im Schneidersitz hin und her. Siebeneisen wollte sein neu erworbenes Fachwissen sogleich anbringen.
    »Ein Loblied auf Hüazahlahn und Schüttlen , oder?«
    Uchka der Fahrer und der Schafhirte sahen ihn entgeistert an.
    »Das Lied handelt vom Tee, den die Mutter früher gemacht hat, mit viel Milch und ein wenig Salz.«
    Am Nachmittag veränderte sich die Landschaft. Die flachen Hügel, die sie seit Ulan Bator begleitet hatten, verschwanden allmählich, und das Land wurde flach wie ein Teller. Man sah jetzt mehr Herden, Pferde, Schafe, sogar einige Kamele, die am Pistenrand standen und teilnahmslos an irgendetwas herumkauten. Einmal, als sie an einer kleinen Gruppe Jurten vorbeifuhren, wurden sie von einem Hund gebissen. Uchka der Fahrer hatte ihnen zuvor empfohlen, unbedingt die Worte Nokhoi Khorio! auswendig zu lernen, das heiße »Bitte halten Sie Ihren Hund fest!« und sei aus guten Gründen die übliche Begrüßungsformel in der Steppe. Besagter Hund allerdings wartete gar nicht darauf, dass sie ausstiegen oder auch nur anhielten, um sein Herrchen zu begrüßen – er drehte schon vom bloßen Anblick ihres Autos komplett durch. Mehrere Kilometer rannte er geifernd und kläffend hinter ihnen her und biss ihnen immer wieder in den linken Hinterreifen. Uchka der Fahrer erzählte, dass mongolische Hunde eigentlich Ziegen und Schafe vor den Wölfen schützen sollten, aber offensichtlich war dieses Exemplar gerade nicht ausgelastet. Der Köter hatte allerdings auch keine Mühe, ihnen zu folgen: Weil die Schaltung ein wenig anfällig war, fuhr Uchka der Fahrer so gut wie immer im vierten Gang. Mit so einem Fahrstil waren sie natürlich nicht besonders schnell. Vor allem, weil sie immer wieder abbremsen mussten, wegen eines klaffenden Lochs auf der Piste zum Beispiel oder eines meditierenden Kamels. Wenn Uchka der Fahrer doch einmal schaltete, klang das Getriebe wie eine Klapperschlange mit Blähungen, der man versehentlich auf den Bauch getreten war.
    Bei der nächsten Panne – irgendetwas mit der Wasserpumpe, das zum Glück zügig repariert werden konnte – breitete Siebeneisen die Landkarte auf der Kühlerhaube aus, die hinten in Lawns Reiseführer klebte. Er hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden.
    »Da sind wir gestartet«, sagte Uchka der Fahrer und zeigte auf Ulan Bator, »und hier sind wir jetzt!«
    Siebeneisen schaute konsterniert auf die streichholzbriefchengroße Fläche der etwa vier Quadratmeter großen Karte, auf der man ihre Route sah, wenn man sehr gute Augen hat. Bevor er etwas sagen konnte, nahm Uchka der Fahrer die Landkarte aber schon wieder von der Kühlerhaube, weil er die nun aufklappen musste. Zehn Sekunden später wusste Siebeneisen, dass sie froh sein konnten, überhaupt in diesem endlosen Land unterwegs sein zu dürfen. Den Motor hatte man mit Stricken aus Rosshaar zusammengebunden. Sämtliche Flüssigkeitsbehälter waren mit alten Militärsocken verschlossen. Und in der Ecke des Motorraumes lag etwas, das wie ein verschrumpelter toter Igel aussah.
    »Das ist ein toter Igel«, sagte Uchka der Fahrer, »tote Igel bringen Glück.«

40
    Sie übernachteten in einer Jurte, die nicht anders aussah als die anderen 2 459 Jurten, an denen sie auf ihrer Fahrt vorbeigekommen waren, bei der es sich aber dennoch um eine Art »Bed and Breakfast«-Jurte zu handeln schien. Oder vielleicht auch nicht, dachte Siebeneisen, nachdem er neunzehn Hände geschüttelt und nacheinander drei krähende Säuglinge in den Arm gelegt bekommen hatte, vielleicht waren das einfach freundliche Mongolen, die sich darüber freuten, dass ihr Neffe oder Cousin (oder in welchem Verwandtschaftsgrad Uchka der Fahrer zu ihnen stand) Gäste aus dem Westen vorbeibrachte. Die Bed-and-Breakfast -Jurtenbewohner jedenfalls begrüßten Lawn und ihn wie lang vermisste Angehörige, da seid ihr ja endlich, wir haben schon gewartet, kommt und setzt euch, war die Reise auch bequem? Der Willkommenstrubel hielt vielleicht drei Minuten an – anschließend widmeten sich alle wieder ausschließlich jenen Dingen, mit denen sie vor Ankunft der Gäste beschäftigt gewesen waren und taten so, als sei außer ihnen überhaupt niemand da. Eine Frau schlief ein und schnarchte fürchterlich, die Männer begannen eine lautstarke Diskussion, zwei Alte gingen wortlos hinaus und wurden niemals wiedergesehen. Stattdessen kamen

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