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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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weiter, immer geradeaus, immer Richtung Horizont. Uchka der Fahrer war blendend gelaunt. Er hatte in der Jurte eine selbst gebrannte CD geschenkt bekommen, deren Lieder er allesamt mitsingen konnte. Auf dem kopierten Cover war ein Mann zu sehen, der als Dschinghis Khan kostümiert war und mit verschränkten Armen über etwas stand, das wie ein Berg Leichen aussah. Die Musik klang dementsprechend martialisch, wozu auch die Rumpelpiste ihren Teil beitrug – die gebeutelte CD sprang nach acht Sekunden vier Titel weiter und nach weiteren fünf Sekunden neun Lieder zurück, aber das schien Uchka den Fahrer alles kein bisschen zu verwirren: Nach einer Nachdenksekunde schmetterte er das neue Reiterlied mit, als sei nichts passiert. Leider kam die CD deshalb auch nie zu ihrem Ende. Siebeneisen fühlte, wie eine leichte Aggression Besitz von ihm ergriff. Wieso mussten sie nun schon seit Tagen diese grässlichen Lieder anhören? Wo nur waren die sehnsüchtigen Klänge der Pferdekopfgeige, von denen in dem Artikel die Rede gewesen war? Als er überzeugt war, jeder der heroischen Weisen nun zum mindestens achten Mal gelauscht zu haben, beugte er sich nach vorne, um ein Ende des Unterhaltungsprogramms einzuleiten. Bei Uchka dem Fahrer ging das am besten, wenn man sich über Autos unterhielt.
    »Was ist das eigentlich für ein Fabrikat?«
    »Ein GAZ 69.« Uchka der Fahrer schrie, um das Reiterlied zu übertönen. »Wir nennen ihn Jaran Yös.«
    »Und was kostet so ein Auto?«
    »So ein Auto kostet 5 000 Dollar.«
    Und es ist keinen Cent mehr wert, dachte Siebeneisen, der beobachtete, wie der Holzkeil unter dem Armaturenbrett mit jeder Bodenwelle ein winziges Stück weiter hinausrutschte. Es würde keine Viertelstunde mehr dauern, bis ihnen mal wieder alles entgegenkommen würde.
    »Und welches Baujahr ist es?«
    »Das Auto ist Baujahr 2005.«
    Für einen kurzen Moment begann die Welt, die in den vergangenen Stunden lediglich auf und ab gehopst war, sich um Siebeneisen zu drehen. 2005! Was bauten die da in Russland für Autos? Die Kiste sah aus, als habe sie schon Sven Hedin als Begleitfahrzeug gedient. Er wollte Uchka den Fahrer gerade fragen, ob ihn der Vorbesitzer des Autos möglicherweise über den Tisch gezogen und ihm ein falsches Baujahr untergejubelt hatte, aber in diesem Moment waren sie oben auf der Kuppe eines Hügels angelangt. Uchka der Fahrer bremste scharf. In der Senke vor ihnen standen sehr viele Jurten und Pferde und parkende Autos und mehr Ziegen, als Siebeneisen je zuvor in seinem Leben gesehen hatte, viel mehr. Und zottelige Kamele, die an Pflöcken angebunden waren und Siebeneisen aus finsteren Augen anschauten.
    »Der 20. Bezirk. Uchka der Fahrer hat uns zum Ziel gebracht.«
    Ein Sippentreffen in der mongolischen Steppe ist ein ziemliches Ereignis. Wer in den leeren Weiten dieses Landes zu Hause ist, sieht ja oft tage- oder wochenlang keine anderen Menschen als die, die in der gleichen Jurte wohnen – da kann man sich vorstellen, welche kollektive Euphorie eine Zusammenkunft mit ein paar hundert Onkeln, Tanten, Großcousins und Großnichten auslöst. Der Anlass für diese Treffen spielt dabei keine große Rolle. Runder Geburtstag? Hochzeit? Geburt des Clanchef-Enkelchens? Völlig egal! Hauptsache, es gibt genügend Hammelbraten und Wodka, und die Pferderennen sind spannend und die Geschichten abends an den Lagerfeuern. Manchmal treffen sich auch gleich mehrere befreundete Familien und bauen ihre Jurten nebeneinander auf, dann sieht ein ganzes Tal aus wie das Lager der Lakota und Cheyenne damals am Little Big Horn. Oder wie eine Art Steppen-Woodstock, dachte Siebeneisen, der von der Kuppe des Hügels aus aufgehört hatte, die Jurten vor ihm zu zählen. Es mussten mindestens hundert sein.
    »Uchka der Fahrer bringt Sie zu O’Shady. Kommen Sie.«
    Sie stiegen aus und liefen den Hügel hinunter, wobei sie die Jurten links liegen ließen und direkt auf eine große Ziegenherde zusteuerten. Mehrere Hunde hielten die Tiere in Schach. Sie saßen reglos wie Statuen am Rand der Herde und schienen die Ziegen mit ihren Blicken zu hypnotisieren. Siebeneisen dachte an das geifernde Monster, das am Tag zuvor ihren Jeep attackiert hatte. Es schauderte ihn. Als Kind war er einmal von den beiden Dackeln seines Hausarztes gebissen worden, seitdem hatte er eine panische Angst vor Hunden. Wobei »gebissen worden« nicht die richtige Beschreibung war – die Dackel waren am Tag der Attacke erst ein paar Monate alt gewesen und

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