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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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es, ihren Körper vor dem Schuss komplett ruhigzustellen. Erst an einem bestimmten Punkt des Atmungsvorgangs – dann, wenn die Luft in einem langen, gleichmäßigen Zug aus der Lunge entwichen ist und kurz bevor sie neuen Sauerstoff benötigt –, erst dann lassen sie den Pfeil los. Während er zu seinen Pfeilen schritt, kam Siebeneisen eine National-Geographic -Reportage über japanische Mönche in den Sinn, die sogar mit geschlossenen Augen schossen. Sie trafen fast immer.
    Er sah zur Zielscheibe hinüber. In einem hölzernen Rahmen war das Fell eines Wolfes gespannt, der den Schafshütehunden offenbar zu nahe gekommen war. Um diese provisorische Zielscheibe herum standen die Teammitglieder des gegnerischen Clans. Sobald die Schützen ihr Ziel ins Visier nahmen, führten ihre Konkurrenten an der Zielscheibe neckische Tänze auf, um die Konzentration der Gegner zu stören. Bei den bisherigen Durchgängen hatte Siebeneisen fasziniert beobachtet, wie die Nervösmacher erst zur Seite sprangen, kurz bevor sich der Pfeil in das Wolfsfell bohrte. Dann brachen die Angehörigen des eigenen Clans in lautes Siegesgeheul aus und feierten den Schützen, während die andere Sippe ihn mit den üblichen Flüchen und Schmähungen überhäufte. Bislang hatten alle Teilnehmer getroffen, alle bis auf einen der Garrugtschaas. Der Mann war entsetzlich betrunken und hatte den Bogen kaum halten können. Trotzdem waren seine drei Pfeile nur haarscharf am Ziel vorbeigeflogen. Der gegnerischen Mannschaft fehlte nun bloß ein einziger Treffer. Siebeneisen, Ehrenmitglied der Barlas, war der letzte Schütze.
    Die Menge verstummte, als er den Bogen von der rechten in die linke Hand wechselte und einen der Pfeile aus dem Boden zog. Er ließ das gefiederte Ende in der Schafsdarmsehne einrasten. O’Shady stand neben ihm, der Ire verzog keine Miene. Drüben, mitten im gegnerischen Clan, saß Lawn auf einem Schemel zwischen dem Schamanen und einem Mann, bei dem es sich wohl um den Anführer der Sippe handelte. Sie warf ihm einen angedeuteten Kuss zu. Siebeneisen sah zum Ziel, an dem die Männer aus dem gegnerischen Team wie angetrunkene Derwische herumhüpften. Dann hob er den Bogen und spannte ihn, was allerdings derart viel Kraft erforderte, dass seine Arme augenblicklich schrecklich zu zittern begannen. Naiverweise dachte er, er könne seine Haltung stabilisieren, indem er einige Male tief ein- und ausatmete, doch blöderweise verschlimmerte sich das Zittern. Siebeneisen spürte, dass er den Bogen nicht mehr lange würde halten können. Er wartete, bis die Pfeilspitze zumindest halbwegs über dem Ziel war: Dann ließ er los.
    Mit einem sirrenden Geräusch schnellte der Pfeil von der Sehne. In den Reihen der Gurragtschaas brach augenblicklich lauter Jubel aus, während die Derwische rund um die Scheibe lachten und feixten und lustige Grimassen schnitten. Siebeneisens Clan schwieg.
    »Und? Vorbei?« Siebeneisen sah fragend zu O’Shady hinüber. Er hatte den Pfeil nicht fliegen gesehen. Solche Geschosse mussten unglaublich schnell sein.
    »Nicht wirklich. Steckt da vorne.« Der Ire zeigte auf eine Stelle im Steppengras. Die Stelle war etwa drei Meter von Siebeneisen entfernt.
    »Oh. Dann jetzt aber!« Siebeneisen griff nach einem neuen Pfeil. Er sollte einfach früher schießen, dachte er. Nicht zu lange warten. Spannen, zielen, loslassen, das musste eine einzige geschmeidige Bewegung sein. Er dachte an Wipperfürth, der immerzu über dieses Zenzeugs schwadronierte – wahrscheinlich wäre der hier mit einer Augenbinde angetreten. Siebeneisen spannte den Bogen dieses Mal also schon, während er ihn anhob, führte die Pfeilspitze in die Mitte der feixenden Derwische und ließ los, als das Zittern gerade einsetzen wollte. Dieses Mal hörte sich das Sirren wesentlich professioneller an. Der Pfeil flog in einer leichten Ellipse davon, etwas zu weit nach links, wie es schien. Dann war er aber schon wieder auf der Erde, der Pfeil, und Siebeneisen sah, wie ein taubenblaues Vehikel in etwa hundertzwanzig Meter Entfernung vorne links plötzlich ein Stück zusammensackte. Und wie ein Mann, der offenbar wegen einer Reparatur an der geöffneten Motorhaube seines Autos stand, sich erstaunt zum linken Vorderreifen hinunterbeugte und nachschaute, warum der plötzlich sämtliche Luft verlor. Siebeneisen ahnte, dass ihm für seinen dritten Pfeil eher nicht so viel Zeit bleiben würde. Uchka der Fahrer würde ganz schnell hier sein, ganz schnell würde er

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