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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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Publikum, der gegen einen der Boxer antrat, konnte 50 Dollar gewinnen – wenn es ihm gelang, seinen Gegner K.o. zu schlagen. Der Ausgang war dem Zirkusbesitzer natürlich völlig egal, er verdiente an den Zuschauern, gut 400 passten in sein Zelt, 30 Dollar kostete der Eintritt, drei Shows gab es heute, drei weitere morgen. Spencer stellte die Paarungen persönlich zusammen.
    »Dazu brauchst du einen Kennerblick«, erklärte er Siebeneisen, als die Zuschauer ins Zelt strömten, »ansonsten gibt es ganz schnell Ärger.«
    »Wieso denn das?«
    »Wenn ein Boxer wesentlich besser ist als sein Gegner, dauert der Kampf möglicherweise nur ein paar Sekunden. Das mögen die Leute überhaupt nicht. Einen dieser kurzen K.o.-Kämpfe am Abend kannst du dir leisten, der ist meistens sogar gut für die Stimmung. Passiert das aber ein zweites Mal, geht die Show zu schnell vorbei. Dann fühlen sich die Leute um den Eintritt geprellt und werden sauer.«
    Siebeneisen nickte. Das war ja nachvollziehbar, die Leute wollten etwas sehen für ihr Geld. Er sah hinüber zur anderen Seite des Boxrings, wo gerade eine Gruppe Männer Platz nahm. Sie trugen schwarze Lederhosen, Jeanswesten mit Aufnähern und Bärte wie die Musiker von ZZ Top. Als sie saßen, starrten sie regungslos Richtung Ring. Siebeneisen ließ seinen Blick durch das Zelt wandern: Auch viele der übrigen Zuschauer machten nicht unbedingt einen vertrauenerweckenden Eindruck. Die könnte man problemlos mit den Boxern aus Spencers Truppe austauschen, dachte er, das würde nicht auffallen.
    »Wo soll ich mich denn hinsetzen?«
    »Am besten hier vorne, in die erste Reihe. Da siehst du in deinem T-Shirt wie ein Ordner aus. Das flößt den Leuten Respekt ein.«
    Also suchte sich Siebeneisen einen freien Platz auf einer Sitzbank gleich am Ring. Und wusste bereits wenige Minuten nach Beginn der Vorstellung, dass Spencer einen anstrengenden Abend haben würde: Lediglich die Anwesenheit des Boxzirkusdirektors verhinderte, dass sich die Kämpfe im Ring zu Schlimmerem ausweiteten. Gerade eben, beim Eröffnungskampf des Abends, hatte The Undertaker seinen Herausforderer zu Boden gestreckt, einen massigen Eisenbahnarbeiter, der allerdings schon ohne Zutun seines Gegners kaum noch geradeaus gehen konnte. Leider nahm seine Frau die Niederlage ihres Gatten sehr persönlich und traktierte The Undertaker nun mit ihrer Handtasche, die sie wie ein Lasso über ihrem Kopf schwang. Spencer stellte sich vor seinen Boxer, vier Leute aus dem Publikum zerrten die keifende Frau mit ihrer Tasche zurück auf die Sitzbank. Als Nächstes stieg Make My Day in den Ring. Offensichtlich kannte man ihn hier bereits, beziehungsweise seine Vorliebe für Bier, jedenfalls hagelte es einen Schauer leerer Blechdosen, die Make My Day heroisch lächelnd zur Seite kickte. Er benötigte zwanzig Sekunden bis zum K.o. Also nur unwesentlich länger als für das Leeren einer Dose.
    Und dann kam tatsächlich Lucky Jim, der dürre, hagere Lucky Jim, der seine Pilotenbrille trug und das erst bemerkte, als Spencer ihn darauf aufmerksam machte, der schon bei der Begrüßung seines Gegners auf diesen einredete und damit auch nicht aufhörte, als der Kampf begonnen und sein Kontrahent die ersten Luftlöcher geschlagen hatte. Der Mann wog etwa viermal so viel wie Lucky, hatte zehnmal so viel Muskelmasse und trug einen langen Bart. Siebeneisen sah hinüber zu den ZZ -Top-Männern. Sie starrten nicht länger schweigend vor sich hin, sondern waren aufgesprungen, feuerten ihren Kumpel an und beschimpften seinen Gegner mit wüsten Ausdrücken. Lucky Jim schien das nicht zu beeindrucken, er hüpfte auf seinen dünnen Beinchen im Ring herum, als probe er einen Renaissancetanz. Das Publikum johlte und jubelte, und Lucky hob die Arme wie ein Dirigent und rief »Schwebe wie der Schmetterling, stich wie die Biene!«, und dann schlug er zu, ein einziges Mal schlug er zu, und sein bärtiger Gegner verdrehte die Augen und klatschte auf die Matte und blieb liegen.
    Wahrscheinlich hätte Siebeneisen in diesem Moment einfach sitzen bleiben sollen. Oder vor der Show ein anderes T-Shirt anziehen müssen. Die Kombination aus jubelndem Aufspringen und leuchtendem »Proud Member of Spencer’s Legendary Boxing Circus«-Schriftzug aber war keine glückliche – die ZZ Tops auf der anderen Seite des Rings jedenfalls empfanden das so. Einer von ihnen zeigte mit dem Finger auf ihn, drei oder vier andere begannen, über die anderen Zuschauer auf ihn zuzuklettern,

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