Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
stehen und liegen lassen würde, sich in sein Auto setzte und mit ihm zurück nach Cairns fuhr, wo sie erreichbar wäre, wenn alle anderen Erben gefunden waren.
»Ich könnte jetzt hier natürlich sofort alles stehen und liegen lassen, mich in dein Auto setzen und mit dir zurück nach Cairns fahren«, sagte Sheila O’Shady. Sie war zum Fenster gegangen und schaute hinaus. »Da wäre ich erreichbar, wenn alle anderen Erben gefunden sind.«
Siebeneisen sagte nichts. Er überlegte, ob er seit seinem K.o. möglicherweise alles laut aussprach, was er eigentlich nur denken wollte.
»Aber mal ganz im Ernst: Da würde ich doch verrückt werden.« Sheila drehte sich zu ihm um.
»So, wie sich das anhört, dauert das noch ewig, bis du alle deine Schäfchen zusammenhast. Da bleibe ich besser bei den Jungs und tingele mit denen weiter durchs Outback. Ich kann mich ja von jedem Ort aus bei diesem Typen melden, der deine Reise von Deutschland aus organisiert. Wie hieß der noch gleich?«
Drei Tage später erhaschte Siebeneisen in der Lobby seines Motels einen Blick auf sein Spiegelbild: Er sah aus wie etwas, das Howard Carter 1922 im Tal der Könige aus einem Sarkophag befreit hatte. Die Rezeptionistin erkannte ihn trotzdem – irgendwo zwischen den Bandagen schaute ein Stück mit textmarkergelbem Klebeband geflickter Brillenbügel hervor. Sie überreichte ihm einen Zettel. Siebeneisen entzifferte ein gekrakeltes Call Whipperfeert @ Vetter Hascht . Moment, sagte sie, da sei noch eine zweite Nachricht. Noch ein Zettel, wieder von Whipperfeert: Next Stop: Lo Monthang, Nepal, Himalaja .
7
(Eine Woche später. Kathmandu, Nepal.)
Die Menschen waren vor ihm zurückgewichen, schon am Flughafen, auch im Hotel, hier aber, in den vollen, engen Gassen von Kathmandus Altstadt, wo geschoben und gedrängelt und gedrückt wurde, hier war es ganz offensichtlich: Die Leute fürchteten sich vor ihm. Änderten die Richtung, wenn er auf sie zukam, schlugen kleine Bögen, drehten ab in Seitengassen, blieben plötzlich interessiert an völlig uninteressanten Schaufenstern stehen. Kleine Kinder versteckten sich hinter den Beinen ihrer Mütter; eben war ihm eine Tür vor der Nase zugeschlagen worden. Und zwei dralle amerikanische College Girls in unmöglich engen Shorts hatten versucht, ihm – »Oh my God! Oh! My! God!« – ein paar völlig zerfledderte Rupienscheine in die Hand zu drücken. Erst als er plötzlich einem ebenfalls bandagierten Mann gegenüberstand, wurde Siebeneisen klar, dass alle ihn für einen leprakranken Bettler hielten. Er musste unbedingt mit diesem Jigme telefonieren und ihn vorwarnen, der Mann wusste ja nichts von den optischen Folgen seiner Outback-Schlägerei. Und dann musste er diese Bandagen abnehmen. Ganz gleich, wie er unter ihnen aussah.
Wipperfürth hatte ihm bei ihrem Telefonat in Cairns nicht wirklich viel sagen können. Oder sagen wollen. Siebeneisen sollte als Nächstes in den Himalaja fliegen. Nach Nepal. Nach Kathmandu. Und von dort weiter in die Berge, nach Jomoson, einem Kaff in der Nähe der Annapurna. Dort würde er von einem Mann namens Jigme erwartet werden, offensichtlich ein Fahrer. Wipperfürth hatte herausgefunden, dass Liam O’Shady als Zahnarzt in Mustang arbeitete, einem kleinen Königreich, das sich die Nepalesen irgendwann unter den Nagel gerissen hatten, weil sie befürchteten, dass die Chinesen eines schönen Tages über diesen Einschnitt in der Kette der Achttausender einmarschieren könnten – so jedenfalls hatte ihm Wipperfürth das in einem kleinen geopolitischen Referat am Telefon erklärt. Siebeneisen kannte dieses Mustang nicht, aber im Hotel hatte ein Flugticket nach Jomoson für ihn gelegen, also schien das schon alles seine Richtigkeit zu haben. Von Jomoson würde ihn dieser Jigme dann schnell nach Mustang zu Liam O’Shady bringen. Siebeneisen sah auf dem Ticket nach der Ankunftszeit in Jomoson: 17:30 Uhr. Gut möglich, dass sie zum Abendessen bereits alles erledigt hätten.
Der Verband um seinen Kopf ließ sich schnell lösen. Siebeneisen stand vor dem Badezimmerspiegel. So schlimm war die Sache nicht! Ein wenig wie ein Waschbär sah er noch aus. Beide Augen lagen in schwarzblauen Höhlen, das linke war dazu noch ziemlich geschwollen. Aber seine Nase hatte der Flying Doctor in Birdsville wunderbar gerichtet, nur ein leichter Knick war zu sehen. Sein Profil erinnerte nach dem unrühmlichen Zwischenfall ein wenig an das eines römischen Imperators, befand Siebeneisen. Drei,
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