Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
noch einer, und Siebeneisen musste feststellen, dass er von einem Trio uralter Männer beworfen wurde. Die drei saßen zehn Meter hinter der Schädelpyramide auf einer Bank und zielten erstaunlich gut. Zum Glück tauchte Jigme in diesem Moment auf, zerrte Siebeneisen von der Pyramide weg und beschwor ihn, sich erst einmal besser bedächtig zu bewegen – man wisse nie, wie die Alten gerade gelaunt seien. Siebeneisen vermutete, dass es sich bei den verschrumpelten Steinewerfern um eine Art Wächterrat für Sitten und Gebräuche handelte, aber vielleicht waren es auch Innen-, Außen- und Verteidigungsminister, was wusste er denn schon. Die drei sahen aus, als hätten Waldorf und Statler von den Muppets einen Skatpartner bekommen und sich anschließend 73 Jahre lang in einen Sandsturm gesetzt. Siebeneisen war sich sicher, dass sie noch viel schrumpeliger aussehen würden, wenn man ihnen die Schmutzkrusten abschälte.
Überhaupt war dieses Lo Monthang ein einziges Dreckloch. Überall lag Müll herum, und jeder Esel der Stadt schien an schlimmem Durchfall zu leiden. An den Mauern der Lehmhäuser hatte der Wind den Dreck zu kleinen Dünen zusammengeweht. In einer Ecke vergammelte ein Haufen großer Knochen, um den eine Legion Fliegen kreiste.
»Das sieht hier nicht immer so aus«, erklärte Jigme. Er lächelte entschuldigend.
»Streikt die königliche Müllabfuhr?« Siebeneisen trat mit dem Fuß nach einem völlig zerzausten Hund, der gerade sein Bein an seinem Bein heben wollte.
»Es hat mit …«, Jigme zögerte. Sein Lächeln war nun etwas bemüht.
»Es hat mit …«, soufflierte Siebeneisen.
»… der Abwesenheit Seiner Majestät zu tun. Sobald der König die Stadt verlassen hat, darf hier niemand mehr kehren. Das könnte böse Geister aufwirbeln, die sich auf die Fersen Seiner Majestät heften würden.«
»Er ist überhaupt nicht hier?« Siebeneisen ahnte sofort Schlimmes. Dem Dreck nach zu urteilen, musste sich der König auf einer achtjährigen Staatsreise befinden. Der Hund unternahm einen neuen Versuch, worauf Siebeneisen ihn fest in den Hintern trat. Er glaubte, eine Wolke kleiner Punkte aufstieben und zurück ins Fell fallen zu sehen.
»Er ist vor einer guten Woche nach Kathmandu aufgebrochen. Hätten wir Jomoson einen Tag früher verlassen, wären wir ihm unterwegs begegnet.« Jigme lächelte deeskalierend. Die tägliche Konfrontation mit Gerölllawinen, faden Rühreiern und Lämmergeiern schien auch für das sozialkompetente Verhalten im Umgang mit westlichen Reisenden zu schulen, denen man mal wieder eine schlechte Nachricht überbringen musste. Der westliche Reisende versuchte unterdessen, eine munter drauflosmarschierende Gedankenreihe von »Hätte/wäre/wenn«-Folgen unter Kontrolle zu bringen, die soeben bei einem Tag in einem australischen Krankenhaus angelangt waren, den er sich hätte sparen können, wenn …
»Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte er den Hasen noch bekommen«, meinte er stattdessen. Seine Großmutter hatte das immer gesagt, plötzlich war es ihm wieder eingefallen.
Jigme sah ihn verwundert an. Er lächelte höflich.
»Wann kommt Seine Majestät denn zurück?«
»Die Leute sagen: morgen. Es kann aber auch übermorgen werden. Oder überübermorgen.«
Siebeneisen seufzte. Ihm kam ein Moment in den Sinn, Jahrhunderte her und in einem anderen Leben, in dem er geglaubt hatte, Liam O’Shady innerhalb einer Stunde nach seiner Ankunft auf einem staubigen Rollfeld zu treffen. Und ein anderer Augenblick, eine Ewigkeit her und in einem anderen Universum, in dem er sich von einem schnaufenden Iren hatte überreden lassen, schnell mal ein paar Miterben aufzutreiben.
»Wieso wusste Tenzing denn davon nichts? Der ist doch Kriminalhauptkommissar in diesem Land!«
»Tenzing hat in den vergangenen Wochen die Grenzen kontrolliert. Er hatte keinen Kontakt zum Hof.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Auf der Stadtmauer. Er will einen Geier schießen.«
»Noch einen?« Siebeneisen fragte sich, ob der Polizist einen Laden für Daunenkopfkissen eröffnen wollte.
»Der erste war nicht richtig. Die Alten brauchen gewisse Teile, die nur männliche Geier haben.«
Siebeneisen fand Tenzing auf der Ostmauer, nachdem er eine wacklige Leiter hinaufgeklettert war, die jemand aus großen Wurzelstücken zusammengebunden hatte. Der Polizist hockte auf einem staubigen Kissen und spähte hinaus in die Geröllebene. Neben ihm auf der Mauer verströmte eine Schale Buttertee ihr liebliches Aroma. Die
Weitere Kostenlose Bücher