Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Stadt, Land und Übersetzer wieder in die stabile Grundstellung. Siebeneisen beschloss, sich nach seiner Rückkehr von seinem Hausarzt durchchecken zu lassen.
Sie waren daraufhin nur eine Nacht in Lo Monthang geblieben. Die drei Alten hatten Siebeneisen, Jigme und Rashid Schlafplätze in einem Steinhaus zugewiesen, das in einer düsteren Ecke der Stadt kauerte und an den Stall von Bethlehem erinnerte. In der Mitte des einzigen Raumes stand ein gusseiserner Ofen, dessen Feuer mit dem getrockneten Dung der Durchfallesel versorgt wurde und mit seinem beißenden Qualm die Erklärung für den geräucherten Zustand der Menschen in dieser Stadt lieferte. Spät am Abend brachte ihnen ein altes Mütterchen ein undefinierbares Abendessen. Siebeneisen war froh, dass sich Rashid sofort den Teller mit der größten Portion schnappte. Der Umweltoffizier aß nicht, so konnte man das nicht bezeichnen – er führte Angriffskriege gegen sein Essen. Zum Glück hatte seine schmatzende und schlürfende Artillerie den Feind bereits vernichtet, bevor Siebeneisen überhaupt die Zutaten auf seinem Teller identifizieren konnte: Linsen und Reis, das Übliche. Es schmeckte erstaunlich passabel.
Am nächsten Morgen waren sie aufgebrochen. Bereits jetzt, auf seinem Barhocker am Tresen, kam Siebeneisen der Rückweg seltsam unwirklich vor, als sei nicht er, sondern ein anderer tagelang durch die Geröllwüsten zurückmarschiert. Die letzte 35-Kilometer-Etappe war gerade mal ein paar Tage her, aber schon hatte sich der tröstende Schatten des Vergessens über endlose Märsche, Begegnungen mit zahnwehkranken Großmütterchen und das Frühstücksrührei gelegt, das mit jedem Morgen merkwürdiger roch. Auch jener Moment, in dem ihm dämmerte, dass er nur deshalb für 38 Träger zahlen musste, weil man 38 Träger brauchte, um genügend Proviant für 38 Träger durchs Gebirge schleppen zu können, war bereits zu einer kleinen, amüsanten Episode geworden (in Wirklichkeit hatte er derart geflucht, dass Rashid in Tränen ausgebrochen war und von Jigme beruhigt werden musste, den restlichen Abend hockte der Umweltoffizier weit abseits von allen und summte leise vor sich hin). Siebeneisen war sich sicher, dass es irgendwo im menschlichen Hirn eine »Das verdrängst du besser schnell«-Taste gab, die bei gewissen Gelegenheiten automatisch gedrückt wurde. Zum Beispiel bei wochenlangen, vergeblichen Hochgebirgsmärschen.
In Jomoson war ihnen dann mitgeteilt worden, dass wegen der unsicheren Wetterlage in den kommenden Tagen keine Flugzeuge starten durften. Also marschierten sie weiter. Tagelang. Bis hinunter nach Besisahar. Dort setzte Jigme Siebeneisen und Rashid in einen verbeulten Bus, auf die letzten freien Plätze, neben einen Vogelhändler, in dessen Käfig 47 Sittiche in jeder Kurve kreischten, als seien sie eine angeschickerte Gymnasialklasse auf Klassenfahrt. Siebeneisen versuchte, den Blick stur geradeaus Richtung Windschutzscheibe zu richten. Am Armaturenbrett, mitten im nepalüblichen Sammelsurium aus Plastikblumen, gehäkelten Deckchen und Postkarten mit den wichtigsten Hindu-Göttern, klebte ein Schild mit der Aufschrift »Nach Kathmandu oder in die Hölle«. Der Bus fuhr nur dann, wenn der unentwegt singende Fahrer in regelmäßigen Abständen Vollgas gab und sofort anschließend den Gang herausnahm. Weil es stetig bergab ging, waren sie mit dieser Technik ziemlich zügig unterwegs.
Während der achtzehnstündigen Schussfahrt aus den Bergen ins Kathmandu Valley grübelte Siebeneisen siebzehneinhalb Stunden über unterschiedliche Methoden, all das hier zwei bestimmten Personen auf der anderen Seite des Planeten heimzuzahlen. Die restliche halbe Stunde regte er sich über Rashid auf. Der Umweltoffizier stellte unentwegt die gleichen Fragen, wohin fahren wir denn, sind wir bald da, spielen wir das Nummernschildspiel, kann ich ein Curry haben? Geringer Sauerstoffgehalt in der Höhe, dachte Siebeneisen, wirkt sich offenbar von Hirn zu Hirn unterschiedlich aus.
Kathmandu begrüßte sie mit dem ortsüblichen Frontalangriff auf die Sinne. Es stank und duftete und knatterte und hupte, und wer eine Straße überqueren wollte, kam sich vor wie in einem Computerspiel, bei dem unerwartet von links und rechts heranschießende Alien-Raumschiffe dem hin und her hüpfenden Helden nach dem Leben trachten. Siebeneisen wollte sich von Rashid verabschieden, immerhin hatten sie mehrere Wochen lang Rühreier und verlauste Steinkaten geteilt. Er entdeckte den
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