Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
Vom Netzwerk:
mittlerweile getrockneten Faxe durchzusehen. Weil er ihn während seiner Wochen im Reich der Lämmergeier nicht erreichen konnte, hatte Wipperfürth die Rezeption von Siebeneisens kleinem Hotel in Kathmandu mit einer Kaskade an Faxnachrichten befeuert. Die meisten dieser Botschaften waren inzwischen obsolet oder sowieso völlig belanglos. Sie bestanden aus detailgetreuen Wiedergaben von Unterhaltungen mit Schatten oder minutiösen Beschreibungen der Recherche (»Als Erstes habe ich das Wort »Eis« bei Google eingegeben. In 1,02 Sekunden erhielt ich 1 634 998 Treffer. Ich begann daraufhin, die Liste von oben nach unten abzuarbeiten«). Auf einer anderen Seite hatte Wipperfürth sämtliche VHS -Kurse aufgelistet, zu denen er sich anmelden wollte. Das, was er suchte, fand Siebeneisen schließlich in einem Nebensatz auf dem vorletzten Blatt. Er las die Stelle mehrere Male. Dann bestellte er sich ein weiteres Bier.
    Als Liam O’Shady zusammen mit einem Schwall Räucherstäbchennebel ins Happy Shamrock kam, erkannte Siebeneisen ihn sofort: Selbst in einer von Sadhus, Gurus und anderen optisch auffälligen Gestalten wimmelnden Stadt wie Kathmandu war der Zahnarzt ein echter Hingucker. O’Shady war über zwei Meter groß und in das mustangübliche Sammelsurium aus Hemden, Jacken und Überwürfen gehüllt. Er trug eine Art Cowboyhut, unter dem eine rote Mähne hervorquoll, die farblich hervorragend mit seinem langen Vollbart korrespondierte – Siebeneisen musste sofort an Rübezahl denken. Er wartete, bis O’Shady saß und ein Guinness vor sich hatte. Dann stand er auf, ging zu ihm hinüber und versuchte dabei, die stechenden Blitze in Beinen, Rücken und Schultern zu ignorieren.
    »Liam O’Shady?«
    »Sitzt vor Ihnen.« Der Ire sah ihn an. Wache grüne Augen, eine Narbe auf der Stirn und ein Schraffurmuster aus feinen Falten, wo zwischen Bartansatz und Mähne noch Platz war. Ein Typ wie aus einer Highland-Saga, dachte Siebeneisen.
    »Haben Sie sich verletzt? Sie gehen so komisch.«
    »Was? Ach so. Nein, nur Muskelkater. Ich war zuletzt lange auf den Beinen. In Mustang.«
    Rübezahl schmunzelte. »Im Land hinter den sieben Bergen? Was haben Sie denn da gemacht? ’ne kleine Wanderung? Setzen Sie sich doch.«
    Siebeneisen zog sich einen Barhocker heran und versuchte, so unauffällig wie möglich auf ihn zu steigen.
    »Ich wollte zu Ihnen.«
    »Zu mir?« O’Shady sah ihn erstaunt an.
    »Ja. Ich soll Ihnen eine Botschaft überbringen. Aus Dublin. Ihre Großgroßtante Claire ist leider verstorben.«
    »Wer?«
    »Claire. Claire O’Shady. Sie hat Sie in ihrem Testament bedacht.«
    »Wer soll das denn sein? Eine Verwandte von mir?«
    »Ja. Aber wohl nur sehr entfernt. Vielleicht waren Sie als Kind mal bei ihr zu Besuch? Jedenfalls gehören Sie zu den acht Leuten, die sie in ihrem Testament erwähnt hat.«
    »Und deshalb sind Sie von Europa nach Nepal geflogen?«
    »Und anschließend ins Gebirge gelaufen, ja. Ich bin aber nicht aus Europa gekommen, sondern aus Australien. Da habe ich schon eine Miterbin von Ihnen aufgesucht.«
    O’Shady trank einen großen Schluck Guinness. Siebeneisen konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Wahrscheinlich ahnt er allmählich, dass man so eine Anreise nicht einfach so unternimmt, dachte er. Der französische Barkeeper schien ebenfalls nachzudenken. Im Laufe ihres Gespräches war er allmählich immer näher an sie herangerückt. Er lehnte jetzt ganz in ihrer Nähe an einer Wand mit Flaschen und tat so, als sei mit seinem Nasenringpiercing etwas nicht in Ordnung.
    O’Shady holte einen Kugelschreiber aus der Tasche, zog den Bierdeckel unter seinem Bierglas heraus und schrieb:
    »Wie viel?«
    Siebeneisen nahm den Stift und schrieb »50 Millionen« untendrunter, und weil ihm in diesem Moment einfiel, dass der Wert dieser Zahl in der Währung vor Ort ziemlich zusammenschrumpfen würde, ergänzte er noch schnell ein Kürzel dahinter, »€«.
    O’Shady sah zuerst den Bierdeckel an und dann Siebeneisen. Er runzelte die Stirn, wodurch seine Augen ganz schmal wurden. Ich würde das auch nicht sofort glauben, dachte Siebeneisen. Er nickte dem Iren aufmunternd zu. Und als hätte er lediglich auf dieses letzte kleine Zeichen der Bestätigung gewartet, sprang Liam O’Shady von seinem Barhocker und riss die Arme in die Höhe und warf den Kopf in den Nacken, und dann brüllte er das lauteste und längste »Jaaaaaa!«, das Siebeneisen und das Happy Shamrock und Kathmandu und ganz Nepal je gehört

Weitere Kostenlose Bücher