Doppelspiel
irgendjemand dir im Vorfeld in die Kirche gefolgt ist und demnach wusste, was ihr vorgehabt habt, warum hat dieser Jemand euch den Plan dann durchziehen lassen? Warum hat er euch nicht verpfiffen? Auf die Art wäre Kuchin gar nicht erst in Gefahr geraten.«
Reggie starrte eine Zeit lang auf die dunkle See hinaus. Dann sagte sie: »Das kann ich nicht beantworten. Ich weiß nicht warum.«
»Was auch immer die Antwort sein mag, sie ist nicht gut für euch. Wenn ihr einen Verräter in euren Reihen habt, dann wird Kuchin euch im Handumdrehen gefunden haben.«
Reggie schloss kurz die Augen und rieb sich die Schläfen. »Du hast gesagt, du hättest ein Fahrzeug besorgt. Kannst du mich nicht einfach nach London fahren? Es ist mitten in der Nacht, und ich bin müde und verdreckt, und mir ist immer noch viel zu schlecht, als dass ich jetzt nachdenken könnte.«
Shaw schaute sie kurz an; dann zuckte er mit den Schultern. »Sicher. Das Bike steht direkt da oben.«
›Direkt da oben‹ lag eine halbe Meile über unebenes Terrain entfernt und das auf einer stockfinsteren Straße. Dort stand dann ein Motorrad zwischen den Bäumen; die Schlüssel lagen unterm Sitz. Shaw warf Reggie den Ersatzhelm zu. »Das ist zwar keine Vespa, aber es reicht.«
Reggie klammerte sich auf der Fahrt an ihn. Als sie London schließlich erreichten, dämmerte es bereits, und die ersten Pendler zogen über die ansonsten leeren Straßen.
Reggie tippte Shaw auf die Schulter und deutete auf eine Straßenecke. Shaw hielt neben dem U-Bahn-Eingang, und Reggie stieg ab und gab ihm den Helm zurück.
»Bist du wirklich sicher, dass du nicht bei mir bleiben willst?«, fragte er.
»Beim ersten Tankstopp würde ich mich wahrscheinlich ohnehin durch das Toilettenfenster davonstehlen. Warum sparen wir uns das nicht einfach?«
Shaw holte das Handy aus der Tasche und warf es ihr zu. »Bonne chance.«
»Und das war’s jetzt? Kein Versuch mehr, mich zu überzeugen? Einfach nur ›Viel Glück‹?« Für Shaw war offensichtlich, dass ein Teil von ihr bei ihm bleiben wollte; aber im Augenblick war ihm nicht gerade nach Versöhnung zumute.
»Das war ein Job wie jeder andere auch.«
Er startete das Motorrad wieder.
»Danke, dass du uns den Arsch gerettet hast, Shaw«, sagte Reggie. Sie hatte ein schlechtes Gewissen.
»Wie gesagt: alles nur ein Job … Reg .«
Er trat den Gang rein, ließ die Kupplung los und raste davon. Reggie ging allein in die U-Bahn.
Kapitel sechsundsechzig
R eggie schaute sich in ihrer schäbigen kleinen Londoner Wohnung um. Da war ein unförmiges altes Bett mit vier Pfosten, eine alte Truhe, die ihrer Mutter gehört hatte, ein kleiner ausgefranster Teppich, ein Tisch mit zwei Stühlen, eine Herdplatte, ein kleiner Kühlschrank unter der Arbeitsplatte, ein vier Fuß hohes Regal mit ein paar Büchern darin und zwei schmutzige Fenster, durch die man auf ein weiteres dreckiges Gebäude schauen konnte. Ihre treue Topfpflanze war eines grausigen Todes gestorben, denn während Reggies Abwesenheit hatte eine Hitzewelle die Stadt heimgesucht, und ihre Wohnung verfügte über keine Klimaanlage. Die Toilette und die Dusche lagen den Flur hinunter, und leider waren die anderen Bewohner in Reggies Haus Frühaufsteher. Wenn sie also warm duschen wollte, musste sie das bis spätestens sechs Uhr erledigt haben.
Ich bin achtundzwanzig und lebe noch immer wie in meiner Studentenzeit .
Reggie duschte mit kaltem Wasser, denn sie war zu spät eingetroffen, und zog sich dann die einzigen sauberen Sachen an, die sie im Schrank finden konnte. Die Schmutzwäsche stopfte sie anschließend in einen Sack, um sie später unten zu waschen. Da sie einige Zeit fort gewesen war, gab es nichts Essbares mehr in ihrem Kühlschrank. Also frühstückte sie in einem nahe gelegenen Café und ließ sich Zeit für Eier, Kaffee und ein Buttercroissant. Reggie lud ihr Handy wieder auf und schickte eine SMS an Whit. Die Antwort kam sofort. Alle waren sicher nach Hause gekommen. Einer ihrer Leute war sogar in die Villa zurückgekehrt und hatte Reggies persönliche Sachen geholt. In seiner SMS wollte Whit auch wissen, wo Shaw war. Er schrieb: ›Sorg dafür, dass er Harrowsfield nicht findet‹. Reggie antwortete, dass Shaw nicht länger bei ihr sei und dass sie sicherstellen würde, dass er ihr auch nicht folgen konnte.
Auf dem Weg die Straße hinunter schüttelte Reggie immer wieder Arme und Beine, um die Steifheit aus ihren Gliedern zu vertreiben. Die Bootsfahrt war furchtbar
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