Doppelspiel
oder alt.«
Reggie lächelte und gab Whit einen Klaps auf die Wange. »Danke für das Angebot, aber mach, dass du wegkommst.« Bevor Whit einen weiteren Schritt auf sie zumachen konnte, ging Reggie an ihm vorbei und marschierte in Richtung Herrenhaus. Sie legte nur einen weiteren Zwischenstopp ein: am Friedhof. Der Friedhof lag in respektvoller Entfernung zum Herrenhaus neben einem kleinen Birkenhain, und er war fast vollständig von einer Hecke aus Roteiben umgeben. Die Grabsteine waren mit der Zeit dunkel geworden, und Reggie hatte das Gefühl, dass es hier noch ein wenig kälter war.
Reggie trat vor ein bestimmtes Grab, wie sie es immer tat, wenn sie hier war, und las die Inschrift:
»Laura R. Campion, geboren 1779, gestorben 1804. Ein Engel auf dem Weg gen Himmel.« Reggie hatte keine Ahnung, ob sie mit Laura R. Campion verwandt war oder ob die Frau wirklich Regina mit zweitem Namen hieß. Sie war zum Zeitpunkt ihres Todes erst fünfundzwanzig gewesen, was damals keinesfalls ungewöhnlich gewesen war. Vielleicht war sie ja im Kindbett gestorben wie so viele Frauen in jener Zeit. Nachdem Reggie diesen Grabstein bei einer ihrer Wanderungen über das Anwesen entdeckt hatte, hatte sie sich eifrig darangemacht, die Gräber weiterer Campions zu suchen, die hier bestattet waren. Sie hatte im Internet und in der Bibliothek nach Laura Campion gesucht, aber nichts gefunden. Thomas Campion war ein Dichter aus dem 16. Jahrhundert gewesen, und in einem seiner bekanntesten Werke ging es um eine Frau mit Namen Laura, doch Reggie konnte keine Verbindung zwischen dem Text und Laura R. Campion erkennen.
Auf dem Rückweg zum Haus dachte sie an ihre Familie … zumindest an die, die sie mal gehabt hatte. Soweit sie wusste, war sie die einzige Überlebende. Ihr Familienstammbaum war ein wenig kompliziert. Deshalb fühlte sie auch diese Leere in sich, eine absolut tote Zone. Wann immer sie nach einer Erklärung dafür suchte, warum sie auf der Jagd nach dem Bösen durch die ganze Welt zog, wurde sie von dieser toten Zone zurückgestoßen. Nie fand sie einen Abschluss; nie konnte sie auch nur einmal frei atmen.
Nachdem sie ihre Sachen aus dem Haus geholt hatte, fuhr Reggie wieder nach London zurück. Sie würde noch mehrmals zu Meetings nach Harrowsfield fahren müssen. Jedes noch so kleine Detail musste in Briefings aufgearbeitet werden. Schließlich würde sich dann ein Plan ergeben, und den würden sie weiter ausarbeiten und nach Möglichkeit versuchen, sämtliche Fehlerquellen zu eliminieren. Und schließlich, wenn dann alles vorbereitet war, würde Reggie in die Provence reisen, um ein weiteres Monster zu töten. Diese einfache Gleichung war Regina Campions einziger Trost im Leben.
Kapitel acht
S haw war in Paris und hatte gerade äußerst intensive Vorbereitungen hinter sich. Er zog sich eine Trainingshose und ein weites weißes T-Shirt über und joggte die Seine entlang, vorbei am Jardin des Tuileries, der Orangerie und dem Grand Palais. Er lief über die Avenue de New York und dann über den berühmten Fluss, der Paris in der Mitte teilte, und schließlich rannte er im Schatten des Eiffelturms. Dort, in den Parkanlagen, wurde er kurz langsamer und lief dann wieder schneller. Zu guter Letzt erreichte er Saint-Germain am linken Seineufer, wo sich sein Hotel befand. Normalerweise zog er das benachbarte Quartier Latin vor, wenn er in der Stadt war, doch Frank hatte diesmal andere Arrangements getroffen.
Shaw duschte, zog sich um und traf sich mit Frank zum Abendessen in einem Restaurant am Quai d’Orsay. Sie saßen draußen, in der hinteren Ecke eines vom Bürgersteig mit Blumentöpfen abgegrenzten Bereichs. Bevor er ging, gab Frank Shaw einen kleinen Zettel.
»Was ist das?«
»Eine Telefonnummer.«
»Von wem?«
»Ruf einfach an.«
Frank setzte sich den Hut auf den Kopf und ging. Shaw sah, wie Frank kurz am Eingang stehen blieb, um sich eine seiner kleinen Zigarren anzuzünden; dann verschwand er rasch in der Menschenmasse auf der überfüllten Straße.
Shaw machte sich auf den Weg zum Hotel und versuchte, sich aufzuheitern, indem er die Magie einer der bezauberndsten Städte der Welt in sich aufsaugte, doch tatsächlich erreichte er genau das Gegenteil damit. Hier in Paris, in einem Krankenhaus, hatte er einst um sein Leben gekämpft, nachdem ein Neonazi ihm fast den Arm abgehackt hatte, und hier hatte er auch von Annas Tod erfahren. Er hatte sie damals gerade erst gefragt, ob sie ihn heiraten wolle, und sie hatte
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