Doppelspiel
Licht aus einem der oberen Stockwerke reichte nicht bis zum Pool. Dreißig Bahnen später schwamm sie noch immer mit derselben Schnelligkeit. Shaw musste sich die Augen reiben, denn Janies gleichmäßige Bewegungen hatten etwas Hypnotisches an sich wie ein Metronom.
Plötzlich ging auf dem Gelände der Villa nebenan das Licht an, und Shaw wandte den Blick von Janie in Richtung der Villa. Als dort ein Mann erschien, sah Shaw sofort, dass es sich dabei nicht um Waller handelte. Zwar konnte er das Gesicht nicht deutlich sehen, doch der Mann war wesentlich größer und kräftiger als der Kanadier. Shaw nahm an, dass es sich um ein Mitglied von Wallers Sicherheitsdienst handelte, der vor Ankunft seines Bosses noch einmal das Haus überprüfte. Der amerikanische Secret Service machte das ebenso.
Shaw beobachtete, wie der ganz in Schwarz gekleidete Mann mit gezogener Pistole das Außenareal absuchte und die Waffe dabei in jede dunkle Ecke richtete. Dann sah Shaw, wie der Mann zusammenzuckte und einen Blick über die Schulter warf. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war der Kerl an Wallers Pool vorbei und zog sich an der Gartenmauer hinauf, um auf das Nachbargrundstück zu spähen.
Shaw blickte wieder zu Janie. Sie war fertig mit Schwimmen und stieg nun aus dem Pool. Während Shaw zuschaute, zog sie ihren nassen Badeanzug aus und ließ ihn neben das Becken fallen. Dann schnappte sie sich ein Handtuch, trocknete sich damit ab und wickelte es sich um den Leib. Shaw richtete sein Fernglas wieder auf den Mann an der Mauer. Auch mit dem Nachtsichtgerät konnte er das Gesicht des Mannes nicht erkennen, doch er nahm an, dass ihm die Zurschaustellung weiblicher Nacktheit gefiel. Diese pikante Information würde er mit Sicherheit an Waller weiterleiten. ›Janie‹ könnte gerade einen entscheidenden Fehler begangen haben.
Eine Stunde später wurde in Wallers Villa das Licht gelöscht, und Shaw richtete sein Fernglas erneut auf das Haus von Janie. Er verspannte sich ein wenig. In einer dunklen Ecke glaubte er eine Bewegung zu sehen. War das Janie? Oder hatte sich einer von Wallers Männern in den Garten geschlichen, während Shaw sich auf die Villa nebenan konzentriert hatte?
Shaws Gedanken überschlugen sich. Hatte die Frau die Terrassentür abgeschlossen? Shaw kam zu dem Schluss, dass dem vermutlich nicht so war. Janie war einfach viel zu vertrauensselig. Das hatte sie schon bei ihrer ersten Begegnung bewiesen, als sie all die persönlichen Informationen von sich preisgegeben hatte. Vermutlich war sie wirklich nur eine junge, naive Erbin, die zufällig neben einem Psychopathen Urlaub machte, der junge Frauen in die sexuelle Sklaverei verkaufte.
Shaw sprang auf und lief los. Er hatte sich eine Vespa gemietet, doch der nervige Klang des kleinen Motors war um diese Zeit problematisch. Also lief er durch die leeren Kopfsteinpflasterstraßen von Gordes, über den Marktplatz, die Abkürzung bei der Kirche hinunter, durch eine Gasse und eine weitere alte Treppe hinab, die ebenfalls eine Abkürzung darstellte. Dabei kam er an einem antiken Amphitheater vorbei, wo im Sommer Konzerte stattfanden, und dahinter erreichte er die letzte Treppe, die ihn bis auf zehn Meter an die beiden Villen heranbringen würde. Er nahm zwei Stufen auf einmal. Shaw spähte um einen Felsen herum, der aus der ansonsten glatten Steilwand ragte. Janies Villa lag rechts, Wallers links.
Ein silberner Citroën, ein Van, parkte direkt vor Wallers Villa, und vor Janies Tür stand ihr kleiner, zweitüriger, scharlachroter Renault, die Heckklappe nur knapp einen Fuß vom Eingang entfernt. Shaw sah, dass der Renault leer war, der Citroën aber nicht. Zwei Männer saßen vorne. Einer von ihnen war vermutlich der, den Shaw vorhin bei der Erkundung beobachtet hatte; sicher war er sich jedoch nicht. Er erkannte, dass die beiden Kerle einen toten Winkel in ihrem Sichtbereich hatten. Langsam schlich Shaw den Pfad hinunter, um die Richtigkeit dieser Vermutung zu überprüfen. Die beiden Schläger blieben, wo sie waren. Shaw bog um die Ecke und hielt nach einer Möglichkeit Ausschau, in Janies Garten zu gelangen.
Die Mauer war sechs Fuß hoch, doch anders als die Mauer zwischen den beiden Villen vorne hatte man sie mit zusätzlichen Ziegeln noch einmal um achtzehn Zoll erhöht. Wahrscheinlich lag das daran, dass die Mauer hier an einem öffentlichen Weg entlangführte. Damit war es definitiv unmöglich, über die Mauer zu schauen, und auch Klettern war schwierig. Nach dem
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