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Doppelspiel

Doppelspiel

Titel: Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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einen Feigling konnten sie ihn nicht schimpfen.
    Waller war zwar in einem typischen ukrainischen Fischerdorf, sechshundert Kilometer von Kiew entfernt, geboren worden, doch er hatte sich stets als Sowjetbürger und nicht als Ukrainer empfunden. Sein Mentor beim KGB war ein Dreisternegeneral gewesen, den man den ›Schlächter von Kiew‹ genannt hatte. Dieser Mann war ebenfalls gebürtiger Ukrainer gewesen, hatte Moskau aber die Treue geschworen. Alles, was Waller über Gegenspionage, die Niederschlagung von Aufständen und die Sicherung des sowjetischen Way of Life wusste, hatte er von diesem Mann gelernt. Waller hatte sogar ein Bild von ihm an der Wand neben der roten Sowjetflagge mit Hammer, Sichel und Stern, der die Herrschaft der Kommunistischen Partei symbolisierte.
    Waller ging in die Mitte des Raums, nahm Haltung an und salutierte vor diesem großen Sowjetmenschen, den feige Mörder nach dem Fall der Sowjetunion für seine ruhmreichen Taten an die Wand gestellt hatten. Dann kam es Waller schon ein wenig merkwürdig vor, dass er vor einem Mann strammstand, der schon lange unter der Erde war. Er setzte sich an einen alten Metallschreibtisch aus den Fünfzigern, den er schon beim KGB benutzt hatte. Alte Papiere und Formulare in dreifacher Ausfertigung mit Kohlepapier dazwischen lagen dort sorgfältig aufgestapelt, und an der Wand standen alte, zerkratzte Aktenschränke aus Metall. Darin befanden sich so viele Belege seiner Verdienste für das sowjetische Vaterland, wie er aus seiner alten Heimat hatte retten können. Manchmal kam er hierher, schaute sich diese Berichte alter Erfolge an und lebte wieder in der ruhmreichen Vergangenheit.
    Und tatsächlich war ihm sein jetziges Leben so ziemlich egal. Er war reich, doch Geld war nie sein höchstes Ziel gewesen. Waller war arm geboren, war in Armut aufgewachsen und hatte sich jenen angeschlossen, die seine Art zu leben verteidigt hatten. Doch selbst die höchsten Parteimitglieder hatten nur wenig Luxus besessen. Ein eigenes Bad und ein Auto waren das höchste der Gefühle gewesen. Im Vergleich zum Kapitalismus war das gar nichts.
    Und doch bin ich jetzt genau das geworden: ein Kapitalist. Jetzt bin ich ausgerechnet das, wogegen ich all die Jahre gekämpft habe. Aber na ja, ich muss zugeben, dass die Amerikaner es vermutlich richtig gemacht haben .
    Der Handel mit jungen Mädchen langweilte Waller. Er hatte sich vor allem mit den Islamisten eingelassen, weil er dadurch einen kleinen Teil seiner Vergangenheit zurückholen konnte, denn auch damals hatten seine Taten das Leben Tausender beeinflusst. Jetzt hingegen war er nur noch ein einfacher Geschäftsmann wie so viele andere auch. Natürlich machte Waller viel Geld und lebte in großem Luxus, doch wen würde es schon kümmern, wenn er morgen nicht mehr war? Sein Name stand in keinem Geschichtsbuch. Seine Vorgesetzten beim KGB hatten den meisten Ruhm für seine Taten eingeheimst. Sie waren unsterblich. Im Vergleich dazu war er nur ein kleiner Fisch. Und doch hatten einige gewusst, was er getan hatte, und deshalb hatte er auch fliehen müssen wie eine Maus in der Wand. Wenn er hatte leben wollen, war ihm keine andere Wahl geblieben. Andere seiner Art waren von wütenden Menschen förmlich in Stücke gerissen worden, die ihr ganzes Leben lang in ihrem eigenen Land eingesperrt gewesen waren. Waller verstand diese Reaktion vollkommen; er hatte ihr nur nicht zum Opfer fallen wollen.
    Waller öffnete eine weitere Schublade, holte ein altes Buch heraus und blätterte es durch. Es war voll mit Zeichnungen, die er selbst angefertigt hatte. Er war schon immer ein guter Zeichner gewesen. Das hatte er von seiner Mutter gelernt, die sich in Frankreich ihren Lebensunterhalt als Straßenkünstlerin verdient hatte, und auch später, in Kiew, hatte sie noch als Zeichnerin gearbeitet, bis sie dann einen Mann geheiratet hatte, der sie nicht geliebt hatte, und in einem kleinen Fischerdorf gelandet war, das fünf Monate im Jahr unter Schnee und Eis begraben war. Auch jetzt kannte Waller die ganze Geschichte des Paars noch nicht; ja, er wusste noch nicht einmal, was sie überhaupt zusammengeführt hatte. In dem Buch befanden sich viele der Menschen, die er getötet hatte. Ihre toten oder sterbenden Gesichter waren in Holzkohle, schwarzer Tinte oder Bleistift verewigt. Farbe gab es in diesem Buch nicht, denn die Toten brauchten keine Farbe.
    Das nächste Buch, das Waller aus seinem Schreibtisch holte, hätte wohl viele Menschen überrascht,

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