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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Sie waren leider zu breit, daher konnte man von hier oben nicht direkt hinuntersehen auf die Brandung an den Felsen. Aber man konnte sie sehr wohl hören.
    »Was ist damals hier geschehen?«, fragte sie mich plötzlich und ganz unverwandt. »Dein Verlust zeichnet sich bis heute auf deinem Gesicht ab, Deckard.«
    Ich schwieg. Früher oder später hatte jemand kommen müssen, der mir diese Fragen stellte. Ich bin, was ich bin sagte ich so einfach daher und hielt mich für klug und reflektiert. Aber in Wirklichkeit gab es einen Teil von mir, den ich niemals zu berühren versuchte. Um die Schmerzen nicht zu wecken, die dort schlummerten und meiner harrten. Deshalb hatte ich auch nicht nach Anselieth zurückkehren wollen. Und deshalb gab es keine Frau in meinem Leben.
    Mit vorsichtigen Schritten trat ich hinaus in den feinen Regen, spürte ihn erst auf meinem Hemd, dann auf meiner Haut. Es war gut, Teil dieser Welt zu sein. Und es war gut, dieses Leben mit all seinen Entscheidungen und Zwängen, mit all seinem Lachen und all seinem Schmerz zu leben. Denn ein anderes gab es nicht. Und folglich auch kein besseres.
    Ellyn machte keine Anstalten des Protests, als ich dort draußen stand und das Leben auf mich regnen ließ. Ich stellte den Becher auf die Brüstung aus Sandstein, ungeachtet der Tropfen, die in den Wein fielen. Dann stützte ich die Hände ab, beugte mich nach vorn und suchte in der schillernden Dunkelheit unter mir nach etwas, das nicht existierte.
    »Das Verlustedikt über die fünf Freien Städte«, begann ich. Es klang ein wenig zögerlich. »Damals waren alle Markgrafen und auch Alen als Regent des Seenlandes gehalten, in die Hauptstadt zu kommen, um es zu unterzeichnen. Die Freien Städte waren in einer wirtschaftlichen und militärischen Stellung, die es dem Rest des Reiches nahezu unmöglich machte, sie zum Bleiben zu bewegen. Sie strebten ihre Unabhängigkeit an und die Magistrate der Städte wussten genau, was sie da taten.
    Es war kein fröhlicher Anlass, weshalb die meisten Hohen Häuser nicht versammelt anreisten, sondern lediglich ihre Oberhäupter.«
    »Ich weiß«, meinte Ellyn hinter mir. »Ich wollte die Hauptstadt damals sehen. Aber mein Vater hielt es nicht für nötig, wegen eines derart ärgerlichen Anlasses den Aufwand zu betreiben, die gesamte Familie mitzunehmen.«
    »Und er hat gut an der Entscheidung getan«, bestätigte ich, mich nicht einmal wundernd, dass ich gerade Serion von Gamar in einer Hinsicht zugestimmt hatte.
    »Mein Vater hingegen nahm uns alle mit«, fuhr ich fort. »Nicht bloß, um den königlichen Palast zu besichtigen. Sondern auch wegen Esja von Fjaran.«
    »Die du auch verloren hast …«
    Ich nickte für mich selbst. »Ja.«
    Regen lief mir in den Nacken.
    »Ich kannte Esja bereits. Der einstige Regent des Seenlandes kam aus dem Hause Fjaran und hatte eine gute Beziehung zu Falkenberg. Wir hatten uns ein paar Mal über die Jahre besucht.«
    Ich schluckte trocken.
    »Jedenfalls war sie meine Verlobte, eine ganze Weile lang.«
    Ich wusste nicht, warum ich ausgerechnet mit Ellyn von Gamar darüber sprach. Nicht einmal mit Hermelink hatte ich das getan.
    »Das ist schrecklich«, sagte Ellyn tonlos.
    Ich drehte mich um und hob abwehrend die Hände.
    »Damals war es das nicht«, entgegnete ich. »Damals war ich sehr jung und furchtbar verliebt. Es war albern und schön und …«
    Ein Hauch von Rührseligkeit umspielte Ellyns Mundwinkel.
    »… und das durfte es auch sein«, sprach ich zu ende. »Wir hatten alle Zeit der Welt. Sie war wunderbar. Wenn sie für mich lächelte, vergaß die Welt um mich herum zu atmen. Wenn ich ihr Haar im Wind verwirbeln sah, dann …«
    Ich blickte zu Boden und verkniff mir die Tränen, machte eine Atempause.
    »Ich weiß, wie es war«, meinte Ellyn sanft und es klang tröstend. Nein, es tröstete mich tatsächlich.
    »Eigentlich hatten wir eine gute Zeit hier in Anselieth. Das politische Drumherum nahm ich zwar wahr, aber es interessierte mich bloß am Rande.
    Bis zuletzt.
    Als die Magistrate der Freien Städte ausziehen sollten, geschah das Unglück. Es sollte eine Parade geben. Man wollte den Freien Städten zumindest das geheuchelte Gefühl von Respekt zollen, auch wenn im Reich jedem bewusst war, dass wir eine bittere Niederlage eingefahren hatten. Man hatte drei Fürstentümer und fünf reiche Städte verloren. Natürlich hatte man im Gegenzug wirtschaftlich starke Handelspartner gewonnen, wenn man so wollte. Aber das war bloß

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