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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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erneut der Donner.
    »Du bist ziemlich jung, oder?«, fragte ich, auf einmal scheu und wie gefesselt von seinem Anblick. Eben noch hatte ich auf ihn zuschwimmen und ihn ein zweites Mal herausfordern wollen. Jetzt kam mir jede Regung zerstörerisch vor.
    »Ich weiß nicht. Ist man mit 165 Jahren jung? Was meinst du?«
    »165?«, echote ich vor den Kopf geschlagen. »Das ist nicht dein Ernst, oder?« Es erschreckte mich. Ich hatte ihn für jemanden gehalten, der gerade erst verwandelt worden war, weil er sein Dasein so intensiv und leichten Herzens genoss. Nur ein Volltrottel konnte übersehen, dass er gerne lebte.
    »Na ja, gefühlte zwanzig, du weißt schon. Das gefühlte Alter zählt, nicht das tatsächliche. Sagt ihr Frauen doch immer, wenn ihr eure Jugend hinter euch gelassen habt.«
    Nun wurde er auch noch frech. Ihr Frauen. Schon wieder.
    »Du bist ein widerlicher, hässlicher, eingebildeter Chauvinist, Michelangelo.« Ich ließ mich ins Wasser gleiten und kraulte auf ihn zu, doch es hatte tatsächlich wenig Sinn, ihn zum Kampf herauszufordern, er war flink wie ein Fisch. Ich blieb trotzdem unter Wasser, drehte mich im Tauchen spielerisch auf den Rücken und blickte nach oben, wo der Regen die Oberfläche des Pools zu kräuseln begann. Ich hörte sein Rauschen sogar hier unten.
    Erst als meine Lungen zu schmerzen begannen, paddelte ich zum Beckenrand und holte Luft. Es regnete nicht nur, es schüttete. Hinter dem Haus zuckte ein Blitz. Der Donner folgte sekundenschnell.
    »Oh nein!«, rief ich bestürzt. »Es wird doch wieder aufhören, oder? Hört es wieder auf?«
    »Irgendwann hört es immer auf zu regnen und hier meistens schon nach zehn Minuten. Besteht denn eine Chance, dass du da wieder rauskommst, Swimmy?«
    Ach du je, Swimmy. Mein zerfleddertstes Kinderbuch, hundertmal gelesen und vorgelesen. Swimmy, der kleine Fisch, der so anders war als die anderen Fische und trotzdem seinen Platz im Schwarm fand. Als Auge des großen Fisches. Eine tolle Geschichte voller Waldorfpädagogik, dachte ich sarkastisch, vor allem für so sozialbehinderte Kinder, wie ich eines gewesen war. Ohne Schwarm fühlte ich mich dennoch besser. Und ja, ich wollte raus, bei Regen zu schwimmen, machte keinen Spaß und ich sollte zusehen, dass ich wenigstens meine Kleider ins Trockene brachte.
    »Komm mit nach drinnen.« Wir hinterließen bildschöne Wassertattoos aus Fußabdrücken und den herabfallenden, schweren Tropfen aus unseren Haaren auf den Steinplatten der Terrasse, als wir ins Haus gingen, dessen Türen immer noch weit geöffnet waren, denn an der Wärme konnte das Gewitter nichts ändern.
    »Hierher, Ellie, und bleib still, ich möchte dir was zeigen«, lotste Angelo mich zu ihm. Ich folgte seiner Stimme, obwohl ich mich gerne genauer umgesehen hätte, und landete in einem Raum, der mich sofort derart gefangen nahm, dass mein Mund sich immer wieder vor Staunen öffnete. Ich befand mich nicht in einem Lesezimmer, sondern in einer kreisrunden Bibliothek. Hier gab es nichts außer Büchern, Büchern vom Boden bis zur Decke – einer hohen Decke! Uralte Bücher, der Einband matt und abgegriffen, Bücher mit Lederumschlag und goldenen Lettern auf dem Rücken, wuchtige Bildbände, zerlesene Taschenbücher und Noten – ja, eine ganze Wand voll Noten.
    »Hast du die alle gelesen?«, fragte ich andächtig und deutete auf die Taschenbücher.
    Angelo lachte auf. »Nicht alle, aber einige. Ich hab ja Zeit.«
    Die hatte er unbestritten. Aber warum hatte er mich hierhergebracht? Draußen regnete es immer noch, es regte mich langsam auf – was, wenn Angelo nicht recht behalten und es einen Wetterumschwung geben würde, Regen und Kälte bis zum Herbst?
    Angelo griff nach einer der Bücherleitern und schob sie mir herüber; er selbst kletterte auf die andere. Sie waren stabil und boten ganz oben einen kleinen Platz zum Sitzen, falls man sich nicht entscheiden konnte, welches Buch man denn nun lesen sollte, und beim Suchen nach der passenden Abendlektüre ein wenig darin blättern wollte. Doch Angelo ging es nicht um die Bücher. Er hatte die Leitern so positioniert, dass wir nach draußen in den Garten schauten – und wahrhaftig, einen besseren Blick auf diese grüne Insel konnte es kaum geben. Wir waren nah genug, um ihre Geheimnisse zu spüren, und trotzdem saßen wir so erhöht, dass uns nichts von den Geschehnissen zwischen all den Blumenkübeln, Bäumen, verwitterten Steinen und zerfressenen Putten entgehen konnte. Aber was

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