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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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schwenkte sein mächtiges Hinterteil hin und her und schüttelte seine lange, wellige Mähne, während Colin den Wasserstrahl ruhig über seine muskulösen Fesseln wandern ließ. Einen Moment lang sah es aus, als stamme der üppige Wasserstrahl nicht vom Schlauch, sondern von Colin selbst, und Gianna und ich kreischten pubertär auf. Colin schüttelte fast unmerklich den Kopf. Ja, ja, die blöden Weiber.
    »Weißt du, woran mich diese Szene erinnert?«, fragte Gianna. »An diese alberne Werbung, in der die zwei Schickimickitussen auf der Terrasse ihres Anwesens sitzen, Sekt trinken und einem aalglatten Typen zusehen, der gerade sein Pferd striegelt … Weißt du, welchen Spot ich meine? Das ist genau wie hier! Wir brauchen Sekt, Elisa!« Schon flitzte sie auf klappernden Sohlen in die Küche zurück. »Prosecco!«
    »Nein, davon krieg ich Kopfweh! Was anderes!«
    »Hmmm … Campari? Mit Zuckerrand?« Das war Pauls Erfindung. Er benetzte die Ränder der Gläser mit Zitronensaft und drückte sie in Zucker. Ich liebte Zuckerränder. Wir alle liebten sie. Trotzdem wäre Alkohol jetzt Gift für mich gewesen.
    »Für mich irgendetwas ohne Stoff … Haben wir noch bitterini?«
    Bitterini waren kleine Fläschchen mit einer roten Flüssigkeit, die nach Alkohol schmeckte, aber keinen enthielt. Eine Art Aperitif für abstinente Trinker.
    »Allora, due bitterini!«
    Eine Minute später stießen Gianna und ich klirrend an. Bitterini mit Zuckerrand. Das Leben war gut zu uns.
    »Du, soweit ich mich erinnere«, bemerkte Gianna betont laut, obwohl Colin sicherlich auch dann noch alles hören konnte, wenn wir miteinander flüsterten, »hatte der Stallbursche in der Werbung kein Hemd an.«
    Colin drehte uns ungerührt seinen Rücken zu. Wie immer trug er eine dunkle, schmale Hose und eines seiner maroden Leinenhemden. Die Hitze störte ihn schließlich nicht. Anscheinend liebte er es bedeckt. Zu bedeckt für unseren Geschmack.
    Zieh es aus, dachte ich fordernd und grinste siegessicher, als Colin sich mit einer bestrickend vornehmen, aber maskulinen Bewegung zu uns herumdrehte und lässig an seinem Hemdkragen zog, sodass die Knöpfe aufsprangen und er sich den verwaschenen Stoff von seinen nackten Schultern streifen konnte. Die Belustigung in seinem grün-braun sprühenden Blick ließ unsere gedämpften Begeisterungsschreie nicht minder selig ausfallen. Er spielte mit uns. Louis schnaubte empört, als wäre er eifersüchtig. Wahrscheinlich war er das sogar. Colin wandte sich ihm wieder zu, nahm das Schweißmesser und zog es mit geübten, kräftigen Bewegungen über sein triefendes Ebenholzfell. Fontänen aus Tausenden winzigen Tröpfchen stiegen auf und glitzerten im schwindenden Sonnenlicht, bevor sie sich auf Colins nackten Rücken legten und sofort verdampften, obwohl seine Haut kühl war. Das Wasser blieb nie lange bei ihm.
    Giannas und meine Albernheit wich stillem Staunen. Das hier war ein perfekter Augenblick, ein goldener Augenblick. Ich wagte nicht, mich zu rühren, und Gianna schien es ebenso zu gehen. Reglos standen wir am Geländer, unsere weit geöffneten Augen auf diesen einen Mann und sein Pferd gerichtet, die beide so schön und eigenartig zugleich waren, ein launischer Unfall der Natur; in ihrem eigenen, begrenzten Kosmos ohne jeden Makel – Furcht einflößend, aber auch so unwiderstehlich und über jeden Zweifel erhaben, dass wir die Luft anhielten, um die Zeit an ihrem unaufhörlichen Fortschreiten zu hindern und ja nichts zu verändern. Alles musste so bleiben, wie es war.
    Ich liebe dich, dachte ich und es jagte mir keinen Schrecken und auch keine Eifersucht ein, als ich spürte, es nicht alleine gedacht zu haben. Wir dachten es beide, Gianna und ich, jede auf ihre eigene Weise; denn es war der einzige Gedanke, den diese verzauberten Sekunden zuließen. Colin hatte uns in seine Welt gelassen. Er hielt einen Atemzug inne, dann holte er erneut aus, um über Louis’ nasses Fell zu streichen, dieses Mal aber nachdrücklicher und feinfühliger.
    »Ich liebe euch auch, ihr unseligen Weibsbilder«, drang seine samtige Stimme in meinen Kopf.
    Mit einem Schlag, als wären sie mitten in ihrer ewig gleichen, monotonen Bewegung von einer Seuche dahingerafft worden, verstummten die Zikaden. Louis wieherte schrill, ein panisches Kreischen in der plötzlichen, lähmenden Stille. Klappernd fiel das Schweißmesser auf die Pflastersteine. Der Wind drehte von einer Sekunde auf die andere und wirbelte das Heu in einem heißen,

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