Dornenkuss
es – aber ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte.
Noch immer ärgerte mich sein Ausspruch, er würde mich als Mahr nicht lieben, noch immer fand ich, dass seine Haltung Bigotterie glich. Andererseits war Tessa tot und vielleicht sollte ich angesichts dieses bahnbrechenden Erfolges, dessen Glücksgefühl bisher allerdings ausfiel, nicht so kleinlich sein. Unser Weg war frei; wir hatten genügend Zeit, alles zu klären, was wir klären wollten, obwohl mir jetzt, in der ersten Nacht in Freiheit, nicht nach Diskussionen und Rechtfertigungen zumute war.
Ohne nachzusehen, wusste ich, dass er da war. Er kam meistens nachts, damit Louis sich in seinem Unterstand ausruhen und Heu fressen konnte, mistete den Stall aus und ritt oder fuhr dann gegen Morgen wieder für ein, zwei Tage hoch in die Sila. Seit Tessas Tod war er nicht mehr hier gewesen; er würde also ein paar Stunden lang bleiben können.
Deshalb ließ ich mir Zeit und duschte ausgiebig im Garten, bevor ich mir ein dünnes Strandkleid überwarf, meine Haare notdürftig zusammenband und hinüber zum Stall lief. Colin saß auf seinem Lager, wie immer ein Knie hochgestellt und den Ellenbogen daraufgelehnt, so wie ein Maler sein Modell positionieren würde, wenn er einen jungen Krieger abbilden wollte, doch ich brauchte einige Sekunden, um mich zu vergewissern, dass er es tatsächlich war.
Wie in den bronzenen Abendstunden, wenn Colin mit Louis am Strand baden gegangen war, hatte er sich ein schwarzes Piratentuch um den dunklen Schopf gewickelt, aber das allein war es nicht, was ihn mir so fremd erscheinen ließ. Es war seine Kleidung: ein graues, anliegendes Shirt mit kurzer Knopfleiste am Kragen (geöffnet natürlich) und eine verwaschene Jeans im Used-Look, beides neu. Hatte er etwa all seine Klamotten verbrannt? Seine uralten Hemden und diese elegant geschnittenen, schmalen und doch so lässigen Hosen? Etwa auch seine Stiefel? Oder trug er sie nur nicht, weil Tessas Leichengeruch noch an ihnen haftete?
Ich hatte nicht mit dem Schmerz gerechnet, den die Vorstellung auslöste, dass Colin seine Kleider vollständig vernichtet hatte und ich ihn nie wieder darin sehen würde. Instinktiv legte ich die Hand auf mein Herz, weil seine Schläge wehtaten. Herrje, wie konnte ich so oberflächlich sein? Es waren nur Klamotten, mehr nicht. Irgendwann wären sie sowieso dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen.
Ich fing mich wieder und wartete, bis er seinen schwarzen Blick hob und mich ansah. Doch das machte es auch nicht besser. Seine Augen bestürzten mich – ich hatte nicht mit jener Ruhelosigkeit und Erschöpfung gerechnet, die ich in ihnen erkannte, sondern eher mit teuflischem Schalk, gefolgt von einer arroganten Zote, doch dieser Ausdruck war mir selbst zu nah, mir selbst und meinen Empfindungen und auch dem erbitterten, acht Tage andauernden Versuch, nicht zu weinen, auf keinen Fall zu weinen, weil dann mein Körper meine Schwäche erkennen würde. Colin sagte nichts, während seine Augen fiebrig über mein Gesicht und meine Gestalt wanderten. Also musste ich es tun.
»Wie es aussieht, haben wir überlebt. Ich bin gesund.«
In dem Moment, als ich es aussprach, kam mir der Gedanke, an der Pest erkrankt zu sein, plötzlich grotesk und märchenhaft vor, doch Colins Reaktion zeigte mir, dass er das nicht gewesen war. Er murmelte einen kurzen Satz auf Gälisch, der wie ein Dankesgebet klang, und vergrub für einen Moment sein bleiches Gesicht in den Händen, ein Ausdruck tiefster Erleichterung, der mir den Boden unter den Füßen wegzog. Ich kippte nach vorne und sackte in seine Arme, die sofort nach mir griffen und mich an seine Brust zogen, wo mich ohne jegliche Vorwarnung ein unkontrollierbares Zittern überfiel, kein panisches Frösteln wie in den Tagen zuvor, sondern die bahnbrechende Erlösung nach einem langen Kampf. Jetzt erst merkte ich, dass ich meine Muskeln seit dem Mord beinahe ununterbrochen angespannt hatte, wahrscheinlich hatten daher die Schmerzen in Beinen und Armen gerührt und vielleicht sogar das Fiebergefühl. Meine Zähne klapperten, meine Knie bebten, als würde ich geschüttelt, und ich vermochte es nicht, meine Hände an Colins Brust ruhen zu lassen oder sie gar zu heben, um seine Wange zu streicheln, ihn endlich zu berühren und ihm zu verzeihen.
»Das erinnert mich an etwas …«, raunte er mit anzüglichem, aber liebevollem Spott und ich lachte reflexartig auf, weil er sich mir endlich wieder zeigte, wie ich ihn kannte, nie um eine
Weitere Kostenlose Bücher