Dornenkuss
eingerichtete Hütten mit Dächern aus Stroh, die in die knietiefe Lagune gebaut worden waren, Palmen, unter deren Schatten noch kein menschlicher Fuß den jungfräulich sauberen Strand zertrampelt hatte …
»Hier werde ich meinen Winter verbringen.«
»Du gehst weg? Wirklich, du gehst weg?« Aus der Traum. Die Bilder verflüchtigten sich. »Aber es ist doch so schön hier …«
»Nicht im Winter. Ich kann im Winter nicht spielen, die Touristen sind ab Ende September weg, die Bars und Cafés schließen, sogar die meisten Hotels verwaisen. Die Orte am Meer sind dann wie ausgestorben und in den Bergen ist die kalte Jahreszeit hart und entbehrungsreich. Ich habe ein Engagement in einem Hotel ergattert; es bringt mir nicht nur Geld und Gesellschaft, sondern auch nahrhafte Träume.«
Angelo ging weg … Ein leeres, totes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit, als ich darüber nachdachte. Ich war davon ausgegangen, dass er hierbleiben würde und dass es immer warm war in Kalabrien. Immer. Ich konnte mir dieses Land nicht kalt vorstellen. Und auch nicht ohne Angelo.
Wer war für ihn eigentlich die Richtige? Wie sollte sie sein? War es denn so ausgeschlossen, dass ich es sein konnte?
Ich dachte an die Filmaufnahmen zurück und verspürte trotz meines Ärgers einen wohltuenden Stolz. Noch nie hatte ich mich so hübsch gefunden wie auf diesen Bildern. Ich fand mich nicht nur hübsch, ich war hübsch mit meinen ungezähmten Haaren und meiner braunen Haut, mein Körper biegsam und fest, die Taille schlank. Ich musste mich vor Angelo nicht verstecken. Noch war Sommer.
Noch war Sommer und so geisterten wir stundenlang durch die laue Nachtluft, bis er zur Jagd aufbrach und ich schon im Gehen zu träumen begann, weil mein Körper danach verlangte, dass meine Fantasien ihm endlich das schenkten, was er sich erkämpft hatte. Ich gab es ihm ganz allein in der samtigen Dunkelheit meines Zimmers, der Skorpion als stiller Wächter dicht neben mir.
Als die Sehnsucht mir die Sinne stahl, wandte ich meinen heißen Kopf zur Wand und berührte mit den Lippen seinen schlanken Leib. Meine Reaktionen waren rasend schnell geworden, doch er war mir überlegen. Ich keuchte hohl, als sein Stachel sich in meinen Mund bohrte, begriff zu spät, was er da tat. Dann erst zuckte ich zurück und schrie gellend auf vor Wut und Zorn.
Ich holte weit aus, um ihn von der Wand zu fegen und stampfend zu Brei zu zertrampeln. Auch ich hatte Gift.
Doch er war nicht mehr da.
NUR GETRÄUMT
Ich wollte einen Haken schlagen und seitlich wegschnellen, um unter ihm hindurchzutauchen, damit er mich nicht kriegen konnte, doch ich hatte seine Kraft und Wendigkeit unterschätzt. Es genügte ihm, mich am Knöchel zu packen, um mir meinen Schwung zu nehmen und mich ins Trudeln zu bringen. Ich zappelte wie ein Fisch, dem gerade die Harpune in den Leib gerammt worden war und der in seiner Todesangst vergeblich versuchte, das gesamte Schiff mit sich zu ziehen. Was er hier mit mir tat, war Freiheitsberaubung. Ich begann zu schreien. Meine Lungen füllten sich sofort mit Wasser. Verärgert stellte ich fest, dass ich nicht mehr atmen konnte. Wieso konnte ich nicht atmen?
Im nächsten Moment wirbelte er meinen Leib herum, bis mein Kopf die Wasseroberfläche durchbrach und mein Überlebenstrieb mich dazu zwang, hustend und spuckend nach Luft zu ringen.
»Lass mich sofort los!«, gurgelte ich.
»Ellie, sieh dich mal um, wo wir sind! Sieh dich um!«
Ich sah mich um und da war nichts außer dem Blau des Meeres, dessen Wellenkämme der Abend langsam grau färbte, aber genau das war es ja, was ich wollte: alle festen Konturen hinter mir lassen, das Gerede und die Vorhaltungen der anderen nicht mehr hören. Ich konnte meinen Kopf drehen, damit ich sie nicht ansehen musste, aber meine Ohren konnte ich nicht verschließen und ihre Stimmen unterwanderten meine Kraft. Meine Schutzwand bekam Risse.
»Du bist zu weit draußen, das übersteigt deine Fähigkeiten!«
»Hat dich doch vorher auch nicht interessiert … wozu ich fähig bin und wozu nicht. Lass mich hier …«
Colin brach seinen Schwur. Vielleicht dachte er auch gar nicht mehr daran, ihn zu halten. Er schlang seinen Arm um meine Brust und zog mich fest an sich, sodass mein Kopf oberhalb des Wassers auf seinem Hals lag, und schwamm mit kräftigen, langen Zügen auf den Strand zu, den man von hier aus kaum mehr erkennen konnte. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, dass er ganz verschwand. Die Nebel waren nur noch wenige
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