Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
überstehen.
    Ich hörte auf, vor mich hin zu schimpfen, weil ich spürte, dass Tillmann mich lauernd beobachtete. Langsam löste ich meine Hand von dem Baumstamm und sah ihn durch die züngelnden Flammen an. Einen Moment lang kam er mir selbst vor wie ein Dämon, unnahbar und gefährlich. War es etwa das, was ihn antrieb? Wollte er Tessa gar nicht besiegen, sondern ihr Gefährte werden? Nein. Nein, das würde er nicht wollen. Dafür war er zu schlau. Aber er wollte wissen, was es war, das sie bei ihm ausgelöst hatte, er wollte sich mit ihr konfrontieren, um seine Liebe zu ihr zu entschlüsseln. Plötzlich konnte ich es kaum mehr abwarten zu erfahren, was Dr. Sand herausgefunden hatte. Falls er etwas herausgefunden hatte. Ich hatte dieses Thema eigentlich erst ansprechen wollen, sobald ich wieder schmerzfrei und damit stabil genug für neue Hiobsbotschaften war, doch nun war mir das Hämmern in meinen Schläfen beinahe gleichgültig.
    Gebannt schaute ich dabei zu, wie Tillmann zum Schwitzzelt ging, eine Art Paddel herausholte, das er sich irgendwann zurechtgezimmert haben musste, und damit die rot glühenden Steine in das Innere der aufgespannten Planen rollte, langsam und andächtig, einen nach dem anderen. Als er fertig war, legte er noch etwas Holz ins Feuer und zog sich seinen Pullover über den Kopf.
    Das Schwitzzelt war also angerichtet. Jetzt ging es ans Entkleiden. Ich war durchaus nicht unerfahren im Saunieren. Jenny, Nicole und ich waren fast jedes Wochenende zusammen in einen Spa gegangen, anfangs in öffentliche Bäder, deren brüllender Lärm mir jede Entspannung vermieste. Dann hatte ich mich bereit erklärt, mein üppiges Taschengeld in unsere Saunagänge zu investieren und uns Zugang zu den Wellnesslandschaften der größeren Hotels zu ermöglichen. Zwar wurden wir auch dort nicht von Cellulitisbergen, schrundigen Zehen und tief hängenden Testikeln verschont, aber meine Rezeptoren mussten nicht ganz so viele Reize verarbeiten wie in den öffentlichen Anstalten. Einen positiven Nebeneffekt hatten die Saunabesuche immer ausgelöst: Sie führten mir gnadenlos vor Augen, welch schöpferische Missgriffe der liebe Gott beim Gestalten des menschlichen Körpers gemacht hatte, und so fühlte ich mich selbst dank meiner Jugend und Unverbrauchtheit gleich ein bisschen schöner.
    Ein Schwitzzelt mitten im Wald aber war etwas komplett anderes als Spaßbäder und Hotelsaunen. Es war intimer, rustikaler, direkter, es fehlten die sanft perlende Entspannungsmusik und der Duft künstlicher Aromen. Vor allem aber war es eine gemischte Sauna. Eine gemischte Zweiersauna.
    Von Jeans und Unterhose befreite Tillmann sich in einem Rutsch und drehte mir seinen blanken (wohlgeformten) Hintern zu. Ich stellte zufrieden fest, dass mir bei diesem Saunagang tief hängende Testikel erspart bleiben würden. Konnte ich mich denn auch sehen lassen? Wenn Tillmann vorhin nicht maßlos übertrieben hatte, war er mit der weiblichen Anatomie vertraut. Mit etwas Glück durchlöcherte er mich nicht mit Blicken. Doch selbst wenn – meine Brüste waren das einzig Durchschnittliche an mir; nicht groß, aber auch nicht zu klein, rund und fest. Sie waren keiner Rede wert. Der Rest war nicht mehr so mager wie im Winter, gestutzt und gepflegt, alles andere konnte ich ohnehin nicht ändern. Und ich wollte Tillmann ja nicht verführen. Wir wollten nur zusammen schwitzen. Wir hatten bereits nächtelang nebeneinander geschlafen, er hatte meinen Rücken massiert, wir hatten zusammen getanzt, uns geküsst, ich hatte seine Narben berührt – er konnte mich ruhig auch nackt sehen. Was war schon dabei?
    Meine Schulter knirschte wüst, als ich mein T-Shirt über den Kopf streifte, und beim Ausziehen der Hose musste ich mich mit aller Macht davon abhalten, nicht an die Nacht zu denken, in der Colin und ich im Bach gebadet hatten. Als Tillmann vorhin dem Wasserrauschen entgegengegangen war, hatte ich plötzlich die irreale Angst gehabt, er würde mich genau dorthin führen. An Colins und meine Badestelle, jenen Ort, an dem meine Liebe Tessa das erste Mal auf unsere Spur gebracht hatte. Aber es war eine andere Stelle und ein anderer Tag. Ein anderes Leben.
    Ich wickelte mir das Handtuch um die Hüften und trat zu ihm.
    »Ich erklär dir kurz die Regeln des Inipi. Wenn wir schwitzen und die Zeltklappe zu ist, schweigen wir. Sobald ich die Klappe öffne, können wir reden.«
    »Kein Problem.« Wir bückten uns und krochen durch den niedrigen Eingang ins

Weitere Kostenlose Bücher