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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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dahintersteckt – und das wird sie merken –, dann wird sie uns niemals fahren lassen. Weder alleine noch zusammen mit ihr. Sie muss ja denken, dass es sich um Tessa gehandelt hat, sie weiß doch nichts von François …«
    Ich musste innehalten, um zu Atem zu kommen. Mit den Fingern presste ich meine Nase zu und zog Luft ein, bis es in meinen Ohren schmatzte. Nun konnte ich etwas besser hören und mein Trommelfell war wieder in der richtigen Position.
    »Äääh, mamma mia.« Gianna sah mich kopfschüttelnd an. »Mit dir sollen wir uns in ein Auto setzen? Das ist ja widerlich.«
    »Ja, sollt ihr. In spätestens einer Stunde. Ansonsten fahren Tillmann und ich allein.«
    »Und wo wollt ihr dann wohnen?« Giannas Bernsteinaugen wurden schmal. »Wie wollt ihr euch verständigen?«
    »Bagatellen«, knurrte ich abfällig und Giannas Ehrgeiz war entfacht. Sie wollte dabei sein, ich sah es ihr an. Pauls Mundwinkel zuckten immer noch, was ihm einen heftigen Ellenbogenstoß von Gianna einbrachte, doch auch er rollte sich aus dem Bett und stellte sich nackt vor seinen geöffneten Schrank, um T-Shirts herauszuziehen und mit Schwung hinter sich aufs Bett zu werfen, wo Gianna sie einhändig entgegennahm. Mit der anderen Hand hielt sie immer noch die Decke vor ihre Brust. Wenigstens konnte ich dank meines Schnupfens nichts riechen. Hier roch es bestimmt nach Moschus, Massageöl und Körperflüssigkeiten. Nicht unbedingt konzentrationsfördernd, auch für mich nicht.
    Ich ließ die beiden mit Rufus allein und schlich schniefend durch Haus und Garten, um meine Koffer ins Auto zu verfrachten, Tillmann zu empfangen, Proviant zu sammeln und mir einen letzten Erkältungstee zu kochen, den ich mit einer guten Portion Wick MediNait vermischte. Vielleicht konnte ich im Auto ein wenig schlafen.
    Wir versammelten uns nach ziemlich exakt einer Stunde geschäftigen Packens und Räumens im Wintergarten zur letzten Lagebesprechung. Mama schlief, Lars war noch nicht da – eigentlich alles perfekt. Schon während ich meinen Tee geschlürft hatte, war mein Erkältungsdämmer einer fiebrigen Vorfreude gewichen, die meinen Bauch zum Kribbeln brachte. Ich kam mir vor wie ein Teenager, der zusammen mit seinen besten Freunden aus dem Internat türmte, um gemeinsam mit ihnen in einer selbst gebauten Hütte im Wald zu leben. Doch meine Euphorie wurde abgewürgt, bevor ich mich an ihr laben konnte, und in der nächsten Sekunde von einem Gefühl absoluter Niederträchtigkeit vernichtet. Eine fünfte Person stand im Raum – und sie gehörte nicht zu unserer illustren Reisegesellschaft.
    »Ihr haltet mich wohl für total bescheuert, was?«, fragte Mama mit einer Milde in der Stimme, die ich nicht einordnen konnte. War es jene mütterliche Milde, die meistens den bittersten Vorwürfen vorausging? Eine resignierte Milde? Eine zynische Milde? Mütter hatten so verwirrend viele unterschiedliche mildtätige Stimmungen parat. Oder war es vielleicht doch eher eine verständnisvolle Milde? Letztere brauchten wir dringend. Obwohl sich ein neuer Niesanfall anbahnte und mein Medikamentencocktail mich bereits gedanklich zu vernebeln begann, war ich die Erste, die sich traute, den Mund aufzumachen.
    »Mama, bitte, du … hätsch! … musst uns alleine fahren lassen, es geht nicht anders, wir müssen allein nach Italien, ich möchte mich endlich mal ausruhen und ein bisschen Sonne tanken, ich war doch noch nie im … hätsch! … Süden …« Mit der Hand wischte ich mir den Schnodder ab. »Der Winter war so anstrengend für uns, Paul muss sich ausruhen, Gianna hat ein Burn-out, ich muss nachdenken, viel nachdenken, wir brauchen das einfach und ich … hätsch!!«
    »Ach, Ellie, Liebes …« Mama ging auf mich zu und griff nach meiner schmierigen Hand. »Ich bin hier, um mich zu verabschieden und dich von deinem schlechten Gewissen zu befreien. Ihr könnt fahren, ihr seid erwachsen. Ich wusste sowieso, dass ihr fahrt. Macht euch eine schöne Zeit.«
    Tja. So war das mit Müttern. Wenn sie unser schlechtes Gewissen entlasten wollten, sorgten sie im gleichen Atemzug dafür, dass es noch größer wurde. Heulend stürzte ich in ihre Arme und war für einen kurzen Moment bereit, all meine Pläne fallen zu lassen, das Auto wieder leer zu räumen, mich in mein kuscheliges Bett zu legen und gesund zu schlafen. Woher kam ihr plötzlicher Sinneswandel? Ich verstand ihn nicht. Sie benahm sich so … großzügig. So selbstlos. Wieso benahm sie sich dermaßen selbstlos? Und warum

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