Dornenkuss
ihn in zwei Ledertaschen zu verpacken, die er uns in die Hand gedrückt hatte.
»Was will er mit dem Zeug?«, fragte ich beklommen. »Ich hab kein gutes Gefühl dabei, das alles mitzunehmen.« Ich dachte an Tillmann, nicht an einen misstrauischen Zollbeamten. Wer wusste schon, ob und wie er sich in seiner grenzenlosen Experimentierfreude daran bediente?
»Colin hat gesagt, Paul solle für alles gerüstet sein«, rückte Gianna nach längerem Herumdrucksen mit der Wahrheit heraus.
»Colin? Ihr habt noch mit ihm geredet?« Ich fühlte mich plötzlich wie ein Kind, das von den Erwachsenen ausgeschlossen wurde. Mir hatte er nicht mal Tschüss gesagt, aber mit Gianna und Paul über Italien gesprochen. Obwohl er sie kaum kannte.
»Nichts Wichtiges«, meinte Gianna wegwerfend, weil sie genau spürte, dass mir nicht passte, was ich da erfuhr. »Er wollte eigentlich nur betonen, dass wir Tillmann und dich auf keinen Fall alleine fahren lassen sollen.«
Bestens, dachte ich bissig, als ich mit laufender Nase darauf wartete, dass Tillmann endlich ans Telefon ging und abnahm. Dann werdet ihr mir jetzt wohl kaum einen Strich durch die Rechnung machen. Ihre Wohnung konnte Gianna auch schriftlich kündigen und die Sachen in der Redaktion waren vermutlich keinen Pfifferling wert.
»Was ist? Ich ess gerade einen Hamburger«, meldete Tillmann sich schmatzend.
»Dann iss schnell. Wir fahren heute Nacht. Es ist etwas dazwischengekommen. Pack deine Sachen und komm her, aber bitte sei leise. Warte beim Volvo. Auf keinen Fall klingeln!«
»Was ist denn los? Außerdem weißt du genau, dass ich es hasse, wenn du mir …«
»Tillmann, ich muss auflegen, ich krieg einen Niesanfall. Komm her, sonst reisen wir ohne dich ab.«
Ich hatte Tillmann seit unserer Übernachtung im Wald nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil er seinen Dad zwecks Italienurlaub-Erlaubniserzwingung zu einem Wochenendkurztrip nach Holland überredet hatte. Doch ich wusste, dass ich mich auf seine Neugierde verlassen konnte. Er würde kommen.
Ich hatte nicht gelogen. Der neue Anfall war heftiger als alles, was ich bisher an Schnupfenattacken erlebt hatte. Nach siebzehn Niesern im Sekundentakt sank ich schwer schnaufend auf mein Bett. Ich hätte kein Nasenspray nehmen sollen. Wann kapierte ich das endlich? Jetzt waren meine Nebenhöhlen zwar einigermaßen frei, aber ununterbrochen sickerte wässriger, klarer Schleim aus meinen Nasenlöchern, der schlimmer juckte als jeder Insektenstich. Ich musste meine Ekelmethode anwenden, um den Juckreiz im Zaum zu halten, und unterschied mich dabei nur unwesentlich von François im Hungerrausch. Ich ließ die Rotze laufen, zog sie jedoch abwechselnd ein und prustete sie dann wieder aus. Ich war ein Schleimmonster. Und nun musste das Schleimmonster seinen Koffer packen.
Mit klebrigen Fingern wirbelte ich Klamotten aus dem Schrank, restlos überfordert damit zu entscheiden, was ich für einen Mordurlaub in Süditalien brauchen würde. Wurden die Abende kalt? Wahrscheinlich. Ich wähnte Giannas Haus im Gebirge und in den Bergen kühlte es abends immer ab. Also Jeans und Fleecepullis und Kapuzenjacken. Kurze Jeans. Röcke. Tops. Badezeug? Badezeug, für alle Fälle, vielleicht konnten wir mal einen Abstecher ans Meer machen. Bademantel. Handtücher. Bettwäsche, wir brauchten auch Bettwäsche, hatte Gianna gesagt. Es gab keine Bettwäsche im Ferienhaus. Kurz entschlossen zerrte ich meinen virenverseuchten Bezug von der Decke, weil die frische Wäsche im Wandschrank neben Mamas Schlafzimmer lagerte, und die wollte ich auf keinen Fall auf mich aufmerksam machen. Und jetzt? Bücher? CDs? Wir brauchten Musik. MP3-Player, CDs fürs Auto, Aspirin, Notizblock, Geld – viel Geld, vielleicht ließen Mahre sich bestechen –, EC-Karte, Sonnenöl, Duschgel, Zahnbürste, Pyjama, feste Schuhe, Sandalen, Flipflops, Boots … Ich hetzte auf Zehenspitzen zwischen Bad und Schlafzimmer hin und her, geschüttelt von Niesanfällen und besabbert wie ein kleines Kind, bis ich zu erledigt war, um weiterzumachen, und darauf hoffte, an alles gedacht zu haben.
Auf der Treppe durfte ich nicht niesen. Also musste ich sie zweimal gehen, einmal pro Koffer, da ich die linke Hand dazu benutzte, mir mit Gewalt die Nase zuzuhalten. Das half manchmal. Mein Handy konnte mich nicht verraten, ich hatte es auf stumm geschaltet. Doch ich hatte nicht an Rufus gedacht. Er kauerte auf der untersten Stufe, gut verborgen im Schatten der Treppe.
Als ich meinen Fuß auf seinen
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