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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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wurde ich den Verdacht nicht los, dass gar keine Selbstlosigkeit dahintersteckte, sondern … sondern? Warum ließ sie uns ziehen? Sie war doch meine Mutter. Machte sie sich denn gar keine Sorgen?
    »Versprecht mir, dass ihr wiederkommt, alle vier.«
    Niemand von uns antwortete. Wir konnten es nicht versprechen und auch das nahm Mama klaglos hin, als habe sie genau gewusst, dass wir ihren Wunsch nicht erfüllen konnten. Versprechen konnten wir ihr gar nichts.
    »Pass auf dich auf, Ellie. Und folge deinem Herzen«, flüsterte sie mir ins Ohr, als ich sie das letzte Mal umarmte und Paul mich von ihr wegziehen musste, weil ich sie nicht loslassen konnte. Eigentlich mussten wir doch gar nicht mehr so überstürzt abreisen. Mama ließ uns gehen, allein, und sie würde uns auch nicht folgen können, weil wir niemandem gesagt hatten, wo genau sich das Ferienhaus befand. Italien war groß und Vespuccis gab es viele. Mama hatte weder die Adresse von Giannas Vater noch die vom Ferienhaus.
    Aber womöglich war ihre Milde eine Laune und dann sollten wir sie nutzen, bevor sie es sich anders überlegte. Trotzdem schämte ich mich zutiefst. Ich zog aus, um meine Liebe zu retten, und erwartete von Mama, dass sie ihre Bedürfnisse hintanstellte. Ich nahm mir vor, sie zu uns in den Süden zu bitten, sobald die Sache mit Tessa ausgestanden war. Dann konnte sie kommen. Dann würde sie Colin von einer ganz anderen Seite erleben und verstehen, was mich mit ihm verband, und wir konnten gemeinsam nach Papa suchen.
    »Du kommst nach, wenn wir so weit sind und nach Papa forschen, okay?«, rief ich von der Treppe aus. Die anderen warteten bereits am Wagen auf mich.
    »Ist schon gut, Ellie«, sagte Mama leise. Ihre Wangen waren tränennass. Der Anblick, wie sie am Fenster des Wintergartens stand, die Hand zum Gruß erhoben, die Haltung gerade und trotzig wie ich in meinen besten Momenten, verfolgte mich, bis wir die Autobahn erreicht hatten und ein finaler Niesanfall mich schachmatt setzte. Mit dem Kopf am Fenster, meinen schlotternden Körper in eine Decke gewickelt, fiel ich in einen kränklichen, unruhigen Schlaf.

KULTURSCHOCK
    Jetzt reichte es mir. Ich wollte nicht mehr. Sie sollten ihre Behandlung abbrechen, es hatte ohnehin keinen Sinn. Alles, was sie taten und versuchten, machte es nur noch schlimmer. Sensationslüstern gafften sie mich an, während ich bewegungsunfähig im Behandlungsstuhl lehnte und eine quälende Prozedur nach der anderen über mich ergehen lassen musste. In dem erstickend engen Raum roch es so durchdringend nach Kampfer und Menthol, dass mir übel davon wurde, und doch richtete es nichts aus, meine Nase war dicht, als wäre sie mit Beton zugeschüttet worden. Ich konnte nur noch durch den Mund atmen und fragte mich, warum ich die ätherischen Öle trotzdem roch, aber wahrscheinlich hatten sie sich bis in meine Blutbahnen vorgearbeitet und ich würde mein Leben lang nichts mehr anderes riechen. Sie hafteten in meinen geschwollenen Schleimhäuten, lagerten in den wunden Falten meines Gaumens und durchwanderten meine Zunge, die sich anfühlte wie ein trockener Lappen, muffig und starr. Das Rotlicht, mit dem die Ärzte meine Nebenhöhlen auf der rechten Gesichtshälfte bestrahlten, brachte meine Schläfen zum Glühen. Schweißnass klebten meine Haare an der Stirn.
    Hört auf!, wollte ich sie bitten, doch ich konnte nicht sprechen. Das Menthol hatte meine Zunge gelähmt. Sie begannen zu lachen, schamlos und lauthals, ja, sie lachten mich aus, ihre Köpfe zu mir heruntergebeugt und ihre schadenfrohen Visagen dicht vor meinem Mund. Ich spürte ihren Atem auf meiner Haut. Er kitzelte meine Lippen.
    »Aufhören!«, versuchte ich es noch einmal. Meine Kehle brachte nur ein sandiges »Agggh« hervor. Das Gelächter schwoll an, wurde hämisch und gehässig. Gedemütigt schloss ich die Augen, um sie nicht mehr sehen zu müssen.
    »Es reicht, Jungs. Erlöst die Arme doch mal …«, hörte ich Gianna kichern.
    »Nee, das ist so lustig – hast du die Kamera gefunden?« Pauls Stimme war vom Lachen schon belegt.
    »Nein. Keine Ahnung, wo die ist …« Gianna schnaufte beim Sprechen, als würde ihr jemand die Luft abdrehen. Das tiefe Blubbern direkt neben mir war mühelos Tillmann zuzuordnen. Er konnte gar nichts mehr sagen vor lauter Heiterkeit.
    »Dann nimm doch dein Handy«, presste Paul wiehernd hervor. Gianna, Paul, Tillmann. Okay, prima, ich befand mich nicht in einem engen Behandlungszimmer, sondern nach wie vor in unserem

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