Dornenliebe
Johannes. Aber ich will dich nicht aufhalten, tut mir leid, dass ich dich fast umgerannt hätte. Ich muss jetzt weiter, meinen Hörsaal suchen, wahrscheinlich komme ich sowieso schon zu spät.«
»Hörsaal suchen?«, wiederholt er und setzt sich in Bewegung,
vergewissert sich mit einem Blick, dass Luna ihm folgt. »Das klingt, als seist du neu hier.«
»Neu in Berlin, neu an der Uni«, bestätigt sie. »Dieser Campus hier ist ja wie eine ganze Stadt, erst mal total verwirrend. Ein bisschen viel auf einmal, aber das packe ich schon.«
»Das geht am Anfang jedem so«, lacht er. »Manche stöhnen nach Wochen noch. Das Gelände hier ist wirklich riesig, am liebsten mag ich den Park, der alle Gebäude miteinander verbindet. Auf dem Rasen lässt es sich im Sommer gut chillen«, meint der Junge. »Da vergisst man schon mal, dass man noch eine Vorlesung vor sich hat. Aber das dauert ja leider noch lange, bis es wieder warm genug ist. Zu welchem Raum musst du?«
Luna verrät es ihm. Der ist ja richtig nett, denkt sie. Ganz anders als auf der Party.
»Ich bring dich hin«, schlägt er vor und reicht ihr die Hand. »Ich heiße übrigens Jaron. Heute Abend findet eine Kneipenrallye durch die City statt, damit die Erstsemester und möglichst viele Ältere sich kennenlernen. In meiner Gruppe sind noch nicht so viele und weibliche Verstärkung ist immer willkommen. Wir starten um zwanzig Uhr, wo genau, das steht noch nicht fest. Bist du dabei?«
5.
L una schwirrt der Kopf. Den ganzen Vormittag lang hat sie Dozenten und Tutoren zugehört, mitgeschrieben, versucht, sich Namen, Gesichter und Räume zu merken, hat erste flüchtige Bekanntschaften geschlossen und alle beneidet, die sich auf dem Unigelände schon bewegen, als wären sie dort zu Hause. Zweimal hat sie auch Jaron wiedergetroffen, in der Cafeteria und draußen in der Raucherecke, an der sie einige Male vorbeigegangen ist. Beide Male schien er sich zu freuen, als wären sie alte Bekannte, die einander lange nicht gesehen haben. Zu den zerschlissenen Jeans trägt er eine abgeschabte Jacke aus weichem hellbraunem Wildleder, und trotz seines neuen Schnitts sehen seine Haare auch heute wieder aus, als hätte er vergessen, sich zu stylen. Ganz anders als Falk, denkt Luna. Seltsam, dass beide demselben Freundeskreis angehören.
Mittags trifft sie endlich auf Sarah, die sie ebenfalls freudig begrüßt. Beim Mittagessen in der Mensa erzählt ihr Luna von Jaron und von der geplanten Kneipenrallye. Sarahs Augen leuchten auf.
»Wie toll, dass du mitkommst! Jaron ist ein ganz Netter, mit dem kann man wirklich Pferde stehlen, hast du sicher schon gemerkt. Und die Kneipenrallye haben wir vor einem Jahr auch gemacht, als wir im ersten Semester waren, das macht so viel Spaß! Himmel, was waren wir zum Schluss blau … Bloß an den Kater am nächsten Tag will
ich lieber nicht zurückdenken, der war fies.«
»Kann ich mir denken.« Luna spürt, wie sich eine Mischung aus Neugier und Scheu in ihr breitmacht. »Aber ich kann nicht. Falk wartet auf mich, wir sind heute Abend verabredet.«
»An deinem ersten Abend als Studentin? Das müsste er besser wissen. Am ersten Abend des Semesters macht man meistens was mit den Kommilitonen.«
»Das wusste Falk nicht, und ich auch nicht. Ich glaube kaum, dass ich ihm jetzt noch absagen kann.«
»Aber ihr seht euch doch fast jeden Tag, oder? Da kommt es auf einen Abend mehr oder weniger doch auch nicht an. Falk ist doch kein Typ, der abends nur herumsitzt und nichts mit sich anzufangen weiß.«
»Das nicht.« Luna probiert ihre Pasta, die sie an der Selbstbedienungstheke geholt hat, und denkt an die eleganten Abendessen mit Falk, natürlich kann man das nicht vergleichen. »Aber das mit uns ist noch so frisch … Er hat sich heute früh so darauf gefreut, dass wir uns am Abend sehen.«
»Dann bring ihn mit«, schlägt Sarah vor. »Falk kann ruhig mal ein bisschen aus seinem Schneckenhaus rauskommen. Er gibt sich ja immer sooo geheimnisvoll!«
»Ich weiß nicht, wie er reagiert, wenn ich ihm das vorschlage. Ein anderes Mal vielleicht. Erst mal wollen wir möglichst viel Zeit zu zweit genießen.«
»Du willst es also nicht einmal versuchen?« Sarah schiebt sich eine Gabel von ihrem gemischten Salat in den Mund. »Ehrlich, Luna, große Liebe hin oder her. Die Kneipenrallye ist die Kontaktbörse überhaupt. Wenn du sie verpasst, jammer mir später nicht die Ohren voll, du würdest hier keinen Anschluss finden.«
»Ich weiß ja, dass du recht
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