Dornenliebe
winkt er sie zu sich heran.
»Du musst was im Magen haben«, sagt er und schiebt ihr sein Tablett hin, auf dem bereits zwei eingewickelte Burger und eine Tüte Pommes frites liegen. »Sonst wird dir noch schlecht. Wo warst du nur die ganze Zeit?«
Sarah schiebt sich zwischen sie beide. »Normalerweise würde ich glauben, sie hätte Falk angerufen und ihm süße Liebesschwüre ins Ohr geflüstert«, witzelt sie. »Aber ohne Handy ist das schwierig.«
Luna spürt, dass sie rot wird, sie will nicht so viel Aufmerksamkeit, will nichts erklären, nicht über Falk reden. Mit zwei Fingern nimmt sie sich ein Kartoffelstäbchen und beißt hinein, es ist heiß und salzig, sie spürt, dass es ihr guttut.
»Ich dachte, ihr wartet auf mich«, erwidert sie und versucht, keinen Vorwurf in ihrer Stimme durchklingen zu lassen. »Ich war nur länger auf dem Klo, weiter nichts.«
Sie bestellt sich ebenfalls einen Imbiss. Jaron wartet neben ihr am Tresen, während die anderen bereits einen Tisch ansteuern.
»Alles okay bei dir?«, erkundigt er sich mit gedämpfter Stimme. Luna zuckt zusammen, versucht, ihren Schrecken zu verbergen, er kann nichts wissen, kann nicht ahnen, wie durcheinander sie ist oder was ihr durch den Sinn gegangen ist, als sie allein durch die Straßen gelaufen ist. Sie versucht, sich zu beruhigen, es war nicht lange, sie hat alles richtig gemacht und ihre Gruppe schnell wieder gefunden, ist wieder aufgenommen in ihrem Kreis, aufgenommen von Jaron, der neben ihr stehen bleibt, bis auch sie ihr Essen bekommen hat. Luna ertappt sich bei dem Gedanken, was Falk sagen würde, wenn er dies sehen könnte; die anderen Studenten am Tisch, Jaron immer noch an ihrer Seite. Sie sieht ihn vor sich, wie er auf sie zusteuert, sieht sein angespanntes, verzerrtes Gesicht, vernimmt die Schärfe in seiner Stimme, hört seine bohrenden Fragen. Verstohlen blickt sie immer wieder durch die Glaswände, fühlt sich beobachtet; jede Bewegung, die sie wahrnimmt, lässt sie sekundenlang erstarren. Erst als Jaron und sie bei den anderen Platz genommen haben,
beginnt sie allmählich, sich wieder zu entspannen, mit jedem Bissen ihres Hamburgers scheint sie mehr in der Wirklichkeit anzukommen, mit jedem Schluck aus ihrem Halbliterbecher Cola sieht sie klarer. Falk kann ihr nicht gefolgt sein, bestimmt wäre er sonst hereingekommen und hätte sie zur Rede gestellt. Viele Jungen und Männer haben ungefähr seine Größe und Statur und sie hat die Silhouette vor der letzten Kneipe nur undeutlich wahrgenommen. Falk kann ihr nicht gefolgt sein. Er vertraut ihr, natürlich kann er ihr vertrauen. Vielleicht fährt Luna später doch noch zu ihm. Sie ist zu müde, um schon jetzt zu entscheiden.
»Noch zwei Lokale«, verkündet Katharina und blickt in die Runde. Luna hat das Gefühl, an ihr würde sie vorbeischauen, es muss nicht mit Absicht sein. »Welches ist das nächste, Ole?«
Ole zieht den Aufgabenzettel aus der Tasche seiner Cargohose und faltet ihn auseinander.
»Bald kann man nichts mehr lesen«, witzelt er, »der hat unterwegs ganz schön gelitten. Die vorletzte Station ist der Pfefferberg in Friedrichshain, da ist jetzt sogar noch Live-Musik! Wir sind also bestimmt nicht vor zwei Uhr zurück am Ku’damm.«
»Cool«, meint Judith und beginnt auf ihrem Stuhl zu wippen, als höre sie jetzt schon einer Rockband zu. Luna spürt Jarons Blick von der Seite auf sich ruhen, kannst du noch, fragt er stumm, sie lächelt ihm zaghaft zu. Katharina steht auf und blickt sich in der Runde um, ungeduldig, aber Ole verkündet noch, dass sie im Pfefferberg den Titel des letzten Songs der Band dieses Abends aufschreiben müssen, es wäre also keine Eile und sie solle mal Rücksicht auf Luna nehmen, die später gekommen sei und noch nicht aufgegessen habe. Parviz, Judith und Jaron murmeln Zustimmung, die Mädchen aus dem ersten Semester
nicken ebenfalls, doch Luna bemerkt aus dem Augenwinkel, dass Sarah leicht die Augen verdreht. Katharina wirft ihre Haare zurück und stößt einen verächtlichen Laut aus.
»Was habt ihr nur alle mit Luna?«, stößt sie hervor. »Eure Hilfsbereitschaft in allen Ehren, aber jeder von uns war mal Erstsemester. Wurdet ihr da vielleicht so gepampert? Nein. Also, Luna, iss auf und dann geht’s weiter. Ich will von der Band noch was haben, der Schlagzeuger soll ganz süß sein, hab ich gehört.«
»Du bist es wirklich gewöhnt, dass alle nach deiner Pfeife tanzen Rina«, kritisiert Parviz, der sich bisher nur wenig
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