Dornenschwestern (German Edition)

England gelangen, sondern auch vor seinem treuen Bruder Richard, seinen Freunden und seiner Flotte. Wir haben keine Wahl, der kraftvolle Wind, der uns entgegenweht, will nicht abnehmen. Sechzehn Tage hat er uns schon hier am Kai festgehalten, während die Königin gegen ihre Kapitäne tobt und sich mit bleichem Gesicht an die geballten Fäuste ihres Sohnes klammert und mich ansieht, als wäre ich eine schwere Last, die übers stürmische Meer gebracht werden muss.
    Sie bedauert es jetzt, dass sie in Frankreich abgewartet hat, bis wir verheiratet waren. Wir hätten sofort zusammen mit meinem siegreichen Vater vorrücken sollen. Wenn wir damals abgereist wären, wären wir jetzt in London und würden Treuegelübde entgegennehmen. Doch sie hat meinem Vater nicht vertraut, und mir auch nicht. Sie hat die Abreise verzögert und musste dafür sorgen, dass mein Vater mich als Unterpfand wie ein Abzeichen an ihre Haube steckt, ohne die Möglichkeit zum Rückzug. Unsere Hochzeit und der Vollzug der Ehe waren die Versicherung dafür, dass weder sie noch er falsches Spiel treiben konnte. Insgeheim wollte sie die Verzögerung auch. Sie wollte abwarten, ob mein Vater England wirklich einnehmen würde, bevor sie ihren kostbaren Sohn an mich vergeudete. Deswegen hängt sie nun auf der falschen Seite des Ärmelkanals fest, während ihr Tag für Tag ein unerklärlicher Wind ins Gesicht bläst.

Harfleur, Frankreich

12 . April 1471
    M orgen früh in der Morgendämmerung legen wir ab», sagt die Königin, als sie an Mutter und mir vorübergeht. Wir stehen wie jeden Tag am Kai und blicken über das Meer. Seit zwei Wochen sehen wir zum Horizont und warten darauf, dass der Wind abflaut und das Meer sich beruhigt. «Sie glauben, der Wind legt sich über Nacht. Selbst wenn nicht, müssen wir morgen in See stechen. Wir können keinen Tag länger ausharren.»
    Ich warte darauf, dass mein Gemahl seiner Mutter sagt, dass wir es nicht wagen können, im Sturm zu segeln, doch er sieht mit seinen harten Augen und seinem starren Mund, die er von ihr geerbt hat, ebenso entschlossen aus. Er würde wohl lieber ertrinken, als noch länger hierzubleiben.
    «Und dann erwarten wir ihn, wenn er landet», sagt er. «Sobald der falsche König Edward sein Schiff verlässt, wird er mit dem Schwert niedergestochen und fällt vornüber in den Kies. Und seinen Kopf spießen wir auf der London Bridge auf.»
    «Wir können doch nicht gegen den Wind segeln», werfe ich ein.
    Sein Blick ist vollkommen leer. «Doch.»
    Der Wind hat sich am Morgen beruhigt, aber die Wellen haben immer noch weiße Schaumkronen, und vor der Sandbank am Hafeneingang ist das Meer bedrohlich grau und aufgewühlt, als zöge ein Sturm auf. Mich beschleichen böse Vorahnungen, doch ich kann mit niemandem darüber sprechen, und sowieso schert sich niemand darum, wie es mir geht.
    «Wann werde ich meinen Vater sehen?», frage ich meine Mutter. Allein der Gedanke, dass er auf der anderen Seite des Meeres Siege errungen hat, gibt mir das Gefühl, die Überfahrt wagen zu können. Ich möchte so gern bei ihm sein. Er soll erfahren, dass ich meinen Teil zu diesem großen Unternehmen beigetragen habe, ich habe den Prinzen geheiratet, den er mir gesucht hat, ich bin weder vor dem Altar zurückgezuckt noch vor dem Bett. Mein Gemahl spricht nie mit mir und erfüllt seine eheliche Pflicht, als wäre ich eine Stute, die fohlen muss. Doch ich habe alles getan, was mein Vater verlangt hat, und wenn ich die böse Königin «werte Mutter» nenne und niederknie für ihren Segen, übertreffe ich sogar noch seine Forderungen.
    Ich bin bereit, auf dem Thron Platz zu nehmen, den er für mich erobert hat. Ich bin seine Tochter, seine Erbin, ich werde das furchterregende Meer überqueren und ihn nicht enttäuschen. Ich werde eine Königin wie Margarete von Anjou, mit einem Willen wie eine Wölfin. «Erwartet er uns, wenn wir landen?»
    «Wir treffen ihn in London», antwortet meine Mutter. «Er hat einen prächtigen Einzug in die Stadt für uns vorbereitet. Sie werden vor dir grüne Zweige und Blumen auf den Weg streuen, Dichter werden Lobeshymnen auf dich singen, und dein Vater sorgt dafür, dass der König dich auf den Stufen des Westminster Palace begrüßt. Es finden Paraden und Historienspiele statt, um deine Ankunft zu feiern, und aus den Springbrunnen strömt Wein. Zerbrich dir nicht den Kopf, er hat alles für dich vorbereitet. Dies ist der Höhepunkt seines Strebens. Er hat endlich sein Ziel erreicht. Wenn