Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
aus dunklem Holz und fragte: »Etwas zu trinken, Veum? Whisky?«
»Haben Sie vielleicht einen Aquavit?«
Er sah mich eine Sekunde lang an, dann sagte er: »Natürlich haben wir Aquavit. Linje? Gammel Oppland? Ålborg Taffel?«
»Simers«, sagte ich.
Er suchte nach dem richtigen Regal und holte eine halbe Flasche hervor.
Er goss den Aquavit in ein flaches Glas und den Whisky für sich selbst in ein etwas höheres, nahm sich Eis und blickte mich fragend an.
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, natürlich«, sagte er. Dann gab er mir mein Glas, und wir prosteten uns stumm zu.
Das schmeckte gut. Wie die erste Frühlingswanderung in einem Kiefernwald.
»Ich muss mich wohl – für Ihre Hilfe bedanken«, sagte er. »War sie … War es schwierig, sie zu finden?«
»Nein«, sagte ich. »Ich habe – gewisse Verbindungen.«
»Wie …«, begann er und drehte das Glas in seinen Händen. Die Eiswürfel klirrten. »Setzen wir uns.« Er wies mich zu dem flachen, viereckigen Tisch und dem Sofa.
Wir setzten uns gegenüber.
»In welcher Verfassung – war sie?«, vollendete er seine Frage.
»In keiner guten«, sagte ich.
»Wir – sie erwarten uns da oben«, sagte er. »Sie muss nur – wir müssen sie nur ein bisschen zurechtmachen. Ich meine, sie kann nicht da oben in der Klinik ankommen, als käme sie direkt aus dem Straßengraben.«
»Nein. Das mag sein«, sagte ich.
»Stand sie – unter Drogen?«
Ich sagte: »Das – tat sie, ja. Ich habe sie gestern Abend gefunden, wie ich es in dem Telegramm geschrieben habe, zu spät, um noch die Abendmaschine zu erreichen. Sie war ziemlich weit unten, und – sie hatte keine gute Nacht. Sie ist abhängig, und sie geht gerade durch die Hölle.«
»Sie hat selbst …«, begann er und sagte dann stattdessen: »War sie – allein?«
Ich sah ihn an. Seine Augen schienen groß und schwarz, und ich sah, dass er Angst hatte vor der Antwort, vor dem, was ich zu erzählen hatte. Aber ich hatte keinen Grund, ihn zu schonen. Er bezahlte mich nicht dafür, dass ich ihm Märchen erzählte.
»Nein«, sagte ich. »Sie war zusammen mit – einem Mann.«
»Einem – einem, der auch … ein …«
»Nein. Mit einem Kunden.«
»Einem – einem … Kunden?« Ganz langsam begriff er, und ich sah wie sich seine Gesichtsmuskeln noch stärker verknoteten. Er hielt sich die mageren Hände vor das Gesicht, verbarg seine Augen und stützte die Ellenbogen auf die Knie.
Nach einer Weile sah er mich durch die Fingerspitzen an. »Es gibt – Dinge … Es gibt Dinge, die ein Mann von seiner Tochter niemals hören möchte. Verstehen Sie das, Veum?«
Ich nickte. Ich verstand es.
Er klammerte sich an sein Glas, leerte es mit schnellen, atemlosen Schlucken, stand auf und ging zum Schrank, goss sich erneut eine noch größere Portion ein, in die er augenblicklich eintauchte. Ich nippte stumm an meinem Drink.
Er kam zurück zum Tisch. »Eine Hure!«, sagte er monoton zu sich selbst. »Eine kleine Nutte! Unsere Tochter …« Er sah auf mich herunter. »Ich weiß noch – oh, mein Gott, es ist nur ein paar Jahre her! Sie war so klein, hatte so mollige, gutmütige Hände, wenn wir Hand in Hand spazieren gingen – sonntags, hier draußen, den Fjellvei hinauf. Ihr Haar war damals noch heller, und – wenn man sie jetzt sieht, kann man sich überhaupt nicht mehr vorstellen, dass sie mal pummelig war, oder?«
Er hielt inne und sah sich um, als sei er auf einer Führung durch ein Gefängnis und hatte genug. »Was zum Teufel geschieht um uns herum? Können Sie mir das sagen, Veum? Was geschieht mit uns, mit unseren Kindern, mit der Welt!? Ein kleines Mädchen … sie ist noch ein kleines Mädchen! Und dann auf Drogen – eine kleine Hure, zusammen mit irgendeinem Kerl in Kopenhagen. Mir wird schlecht!«
Er setzte sich schwer wieder hin und starrte in sein Glas hinunter. »Es ist so ungerecht, Veum. Wirklich! Sie hätte ein gutes Leben haben können – hier. Sie hätte zu einem ordentlichen Menschen heranwachsen können – hier, in diesem Haus, wie ihr Bruder und ihre Schwester es getan haben.«
»Sie hat ältere Geschwister?«, warf ich ein.
»Ja. Sie ist – fast ein Nachkömmling. Sie sind erwachsen, verheiratet, weg. Nur sie ist noch da, sie, die jetzt unsere Freude sein sollte – jetzt, wo wir – älter geworden sind. Hätte eine Stütze für uns sein sollen, uns freundliche Tage bescheren sollen in der letzten Lebenshälfte, und nun …« Er hob resigniert die Hände.
Ich öffnete den Mund, konnte
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