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Dornröschenschlaf

Dornröschenschlaf

Titel: Dornröschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Gaylin
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über ein halbes Jahrhundert alt zu werden, ohne dass dabei die Pubertät je völlig abgeschlossen worden war.
    Mit seiner khakibraunen Hose und dem weißlichen Polohemd war er in dem mit grauem Leinen bezogenen Sessel kaum zu sehen. Genau wie seine Frau war auch Nelson ein völlig blutleerer Mensch – seine Haare, seine Haut und seine Lippen wiesen keine nennenswerte Farbe auf. Die beiden hätten Bruder und Schwester oder gar Zwillinge sein können, sah man von Carols außergewöhnlichen Augen ab. Nelsons Augen waren klein und blass und frustrierend ruhelos. Es war alles andere als leicht, sich normal mit ihm zu unterhalten, denn sobald er spürte, dass ihn Brenna ansah, flatterte sein Blick durchs Wohnzimmer, wo er willkürlich auf irgendwelche Gegenstände – das gerahmte Seestück über dem Fernseher, den hölzernen Don Quichote auf dem Kamin, den mit einer orangefarbenen Katze bestickten Überwurf des Sofas – fiel und hängenblieb, als flehe er die Möbel an, ihm beizustehen.
    Dabei hatte Brenna ihn bisher noch kaum etwas gefragt. »Wie lange sind Sie und Carol verheiratet?«, hatte sie zum Beispiel von ihm wissen wollen.
    Worauf eine Antwort ihrer Meinung nach nicht allzu schwierig war. Aber Nelson hatte seine »Vierzehn Jahre?« wie eine hochnotpeinliche Frage formuliert und dabei den Couchtisch angeschaut.
    Meinetwegen, also gut. Wenn du es nicht anders haben willst …
    Â»Nelson?«
    Â»Ja?«
    Â»Warum haben Sie mich engagiert?«
    Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft sah ihr Nelson ins Gesicht. »Sie sollen meine Frau finden.«
    Brenna sah ihn an und erinnerte sich kurz an Las Vegas – den Geruch von Schweiß und kaltem Rauch, das Klimpern der Geldspielautomaten, den Geschmack des Weißweins, den sie dort getrunken hatte und der ein Garant für Kopfschmerzen gewesen war, und das lüsterne Glitzern in Larry Shelbys Augen, als er sich zu ihr herübergebeugt hatte …
    Â»Und, bist du gebunden?«, fragt er sie, und alles, woran Brenna denken kann, ist Annette, die die ganz Zeit gespürt hat, dass ihr Mann am Leben ist  … auch wenn sie ansonsten offenkundig kaum etwas über ihn weiß.
    Brenna kniff die Augen zu, und als sie sie wieder aufschlug, blickte Nelson sie noch immer an. Sein Gesicht sah dabei wie ein großes Fragezeichen aus. »Und was werden Sie tun, wenn Carol nicht gefunden werden will?«
    Â»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.«
    Â»Ich glaube doch, Nelson. Ich glaube, Sie waren mir gegenüber nicht vollkommen ehrlich, als es um den Zustand Ihrer Ehe ging.«
    Nelsons Blick flatterte in Richtung ihrer Schuhe. »Ich bin immer ehrlich.«
    Â»Ich habe mit Detective Morasco gesprochen«, sagte sie. Und das reichte bereits völlig aus. Nelson schien vor ihren Augen in sich zusammenzufallen, sämtliche Energie schien ihn zu verlassen, und eine Art schwere Erschöpfung breitete sich in ihm aus, bis er trotz seiner zerbrechlichen Statur endlich aussah wie ein fast sechzigjähriger Mann.
    Â»Detective Morasco kennt nicht die ganze Geschichte.«
    Brenna starrte ihn mit großen Augen an. »In Ordnung«, antwortete sie. »Aber wissen Sie, ich muss die ganze Geschichte kennen. Wenn Carol unmittelbar vor ihrem Verschwinden eine beachtliche Summe von einem Bankautomaten abgehoben, wenn sie mit einem fremden Mann gesprochen hat, wenn Ihre Ehe, sagen wir, nicht unbedingt perfekt gewesen ist, muss ich diese Dinge wissen, weil sie vielleicht wichtig sind.«
    Â»Unsere Ehe war in Ordnung. Uns beiden ging es gut. Vielleicht war es zwischen uns nicht wie … zwischen anderen Paaren. Paaren, die ständig demonstrieren müssen, wie glücklich sie miteinander sind. Aber ich habe sie geliebt, und sie hat mich geliebt. Wir hatten eine gemeinsame Zukunft. Wir wollten unseren Lebensabend in der Provence verbringen. Sie würde mich niemals verlassen.«
    All das sagte er in ruhigem Ton, auch wenn dabei eine zunehmende Röte seine Wangen überzog.
    Brenna nickte stumm.
    Â»Es ging uns gut.«
    Â»Verstehe.« Brenna setzte sich auf den spartanischen Holzstuhl, der neben seinem Sessel stand und ihr mehr wie ein Raumfüller als wie ein echter Teil der Einrichtung erschien, und beugte sich zu ihm vor. »Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen. Wollen Sie, dass ich Sie verstehe – oder soll ich Ihre Frau finden?«
    Â»Beides.«
    Sie

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