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Dornröschenschlaf

Dornröschenschlaf

Titel: Dornröschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Gaylin
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fragend erst auf JT -Junior und dann wieder auf das Mädchen sah, wandte die sich mit erboster Miene wieder ihren Noten zu. Brenna fuhr zusammen … Okay, okay, vergessen wir’s …
    Jetzt setzte der Typ zu einem Solo an, und wahrscheinlich hätte nicht mal Beyonce genügend Luft gehabt, um mit ihm mitzuhalten, als er mit eindringlicher, reifer, American-Idol -würdiger Stimme »Let’s start giiivvvvvvinnnng« forderte. Er musste mindestens sechzehn sein. Das machte ihn zum einen für Maya viel zu alt, und zum anderen rief es in Brenna die Erinnerung an die verschwundene Iris wach. Iris Neff, die, wenn sie noch lebte, ebenfalls inzwischen sechzehn und Carols Chatroom-Freundinnen zufolge telefonisch in Kontakt zu Carol Wentz getreten war. Vor zirka einer Woche. Irgendwann spätnachts. Lydia schrieb, dass ihre Tochter angerufen hätte , hatte ClaudetteBrooklyn getippt. Als Brenna das gelesen hatte, hatte sie gedacht, dieser angebliche Telefonanruf wäre der Phantasie einer Person entsprungen, die aus Einsamkeit und aus Verzweiflung bereits online als die angebliche Geliebte ihres Ehemannes aufgetreten war.
    Vielleicht aber hatte Carol sich den Anruf gar nicht ausgedacht? Brenna dachte an die Stimme des jungen Mädchens am Telefon in Nelsons Haus zurück. Es ist meine Schuld … Und im Wald hinter dem Haus hatten die Räder eines alten Fahrrades gequietscht – in einem Wald, der sich entlang des gesamten Muriel Court bis zum Neff’schen Haus erstreckte, wo noch immer Iris’ altes Kinderrad im Garten lag.
    Hör auf. Falls Iris zurück nach Tarry Ridge gekommen war, weshalb hätte sie sich dann bei Carol melden sollen statt bei der Polizei? Wie konnte ein vermisstes Kind wieder nach Hause kommen, ohne dass es irgendjemand bemerkte? Doch noch während ihr diese Gedanken kamen, tauchte vor ihrem geistigen Auge das Bild von Clea auf. Von Clea, die verschwunden war. Von Clea, die seit achtundzwanzig Jahren niemand mehr gesehen hatte, wobei Brenna noch immer hoffte oder, besser, wusste …
    Brenna schloss die Augen und zwang ihre Erinnerung, die Tage aufzurufen, nachdem Iris Neff verschwunden war – die Berichte in den Nachrichten, die sie gehört, die Beiträge in den Fernsehsendungen, die sie gebannt verfolgt hatte. Dann holte sie ihr Handy aus der Tasche und schickte eine SMS an Trent: Am 14. Sep. 1998 kam bei Dateline NBC ein Bericht über Iris Neff. Bitte besorg dir ein Bild von Iris aus deren Archiv und bearbeite es mit deinem Alterungsprogramm.
    Sofort schrieb Trent zurück: Okay.
    Als das Lied verklang, blickte Brenna Richtung Bühne. Der Chor löste sich auf, und Maya kam mit rotem Kopf und zusammengebissenen Zähnen auf sie zumarschiert. Sie starrte unglücklich geradeaus, und Brenna brauchte nur ein paar Sekunden, um zu sehen, was der Grund für das plötzliche Elend ihrer Tochter war. Strahlend wie ein Honigkuchenpferd stürmte JT -Junior quer durch den Raum auf ein Mädchen in knallengen Jeans und mit wild zerzausten Haaren zu. In spätestens fünf Jahren und nach einer minimalen Brustvergrößerung würde sie problemlos an die Pinnwand ihres Assistenten passen, schoss es Brenna durch den Kopf. Ohne Maya auch nur eines Blickes zu würdigen, rannte JT -Junior direkt an ihr vorbei, fiel dem anderen Mädchen in die Arme und küsste sie mit der ach so peinlichen Direktheit, die für Menschen seines Alters typisch war, mitten auf den Mund. Für ihn und dieses Mädchen war die körperliche Reife noch so neu, dass sie damit hausieren gehen mussten wie jemand, der den Motor seiner neuen Rennmaschine mitten in einer ruhigen Wohnstraße absichtlich aufheulen ließ. Ja, sie passte altersmäßig eher zu diesem Typ als Maya, doch wenn ihre Jeans noch enger wären, trüge sie sie subkutan. Und Brenna hasste sie genau wie diesen blöden Kerl.
    Â»Was für eine Überraschung. Du bist zur Abwechslung mal pünktlich«, stellte Maya fest.
    Â»Erspar mir deine Ironie.« Brenna versuchte, nicht zu sehen, wie Mayas Lippen zitterten. Doch am liebsten hätte sie sie in den Arm genommen wie damals, als Hannah Friedman am 17. Mai 2000 auf dem Spielplatz am Tompkins Square ihren fünften Geburtstag gefeiert hatte und Maya vom Klettergerüst gefallen war. Damals hatte sie im Dreck gelegen, ihr aufgeschrammtes Knie umklammert und gellend »Mama!« geschrien. Und genau wie damals

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