Dornteufel: Thriller (German Edition)
›mitbekommen‹, und außer mir auch noch Tjorven Lundgren, Robert Parminski, Ayran Bakshi … Und die sind alle tot.« Julia sah aus dem Fenster, blickte auf die düsteren Wolken und in den vor Nässe deprimierend grauen Hinterhof. Sie schluckte. Es war nicht mehr zu leugnen: Sie hatte versagt. Nichts war bisher geschehen. Die Leute im deutschen Generalkonsulat in Kolkata, die Beamten des BKA: Niemand hatte ohne echte Beweise die Möglichkeit oder die Notwendigkeit gesehen, sofort einzugreifen. Und nun … Selbst wenn Robert noch hätte geholfen werden können, als sie ihn entdeckt hatte – jetzt war es bestimmt zu spät dafür.
So wie es aussah, war die Presse ihre einzige Chance. Die lebten doch davon, dass sie Skandale aufdeckten. Sie dachte an diesen Renard. Wahrscheinlich war die Sache bei Serail Almond für ihn eine Nummer zu groß. Aber es war immerhin eine Chance … Im Zusammenklauben von Informationen hatte er bestimmt mehr Erfahrung als sie. Immerhin hatte er sie aufgespürt, als sie gerade mit Stefan Wilson, einem Vorstandsmitglied von Serail Almond, zusammen gewesen war. Und Julia konnte sich lebhaft vorstellen, wie misstrauisch die Mitarbeiter renommierter Zeitungen reagieren würden, wenn sie einfach in die Redaktion marschierte und ihnen eine haarsträubende Geschichte präsentierte, aber ohne einen einzigen Beweis. Wenn sogar Sonja, ihre älteste Freundin, dazu tendierte, Stefan mehr zu glauben als ihr, wie konnte sie da Vertrauen von Unbekannten erwarten? Dieser Renard hingegen schien genauso überzeugt zu sein wie sie, dass Serail Almond Dreck am Stecken hatte. Heute Abend um elf im … Etwas Besseres hatte sie sowieso nicht vor.
Sonja legte ihr plötzlich eine Hand auf den Arm. »Es tut mir leid, Julia. Das ist bestimmt schrecklich für dich. Aber du musst vorwärtsschauen, nicht zurück.«
»Du meinst, ich soll Serail Almond vergessen?«
»Du bist spitze in dem, was du tust. Wenn ICL dich nicht mehr will, dann geh eben zu einer anderen Firma. Was du brauchst, ist ein interessantes, neues Projekt, an dem du dich austoben kannst.«
»Ich kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.«
»Doch, ich denke, das musst du.«
»So wie du? Alles aufgeben und für einen Hungerlohn Sekretärin spielen?«, brauste sie auf.
Sonja lächelte gelassen. »Genau so. Das mit dem Hungerlohn ist in deinem Fall nicht so ratsam. Aber etwas Neues anfangen, warum nicht? Und in der Zwischenzeit solltest du dich einfach ablenken. Kommst du mit auf die Gala? Ich kann uns zwei Plätze an einem guten Tisch besorgen.«
P ARIS , F RANKREICH
Mein Leben geht den Bach runter , dachte Rebecca Stern, als sie in ihrem Büro die Texte überflog, die Pauls E-Mail beigefügt waren. Er hatte ihr eine Vielzahl von Informationen zugeschickt, wohl so ziemlich alles, was er über Gellert herausgefunden hatte. Und das, was sie da las, war äußerst unerfreulich.
Frank Gellert war kein »normaler« Schwerverbrecher, der seinen Lebensunterhalt mit Wohnungseinbrüchen finanzierte und dabei, wenn es denn sein musste, auch die Concierge ermordete, um nicht entdeckt zu werden. Frank Gellert war ein Psychopath. Aufgewachsen in kleinbürgerlichen Verhältnissen in der Nähe von Rosenheim, war er wegen seines aufbrausenden Temperaments und seiner Brutalität von allen Schulen geflogen, die er besucht hatte. Seine Eltern wollten irgendwann nichts mehr mit ihm zu tun haben, und ein Lehrherr hatte ihn ebenfalls rausgeschmissen. Gerade achtzehn Jahre alt, war Gellert auf sich allein gestellt gewesen. Er hatte damals Autos gestohlen, mehrere Tankstellen überfallen und dabei einen Pächter schwer verletzt; wenig später war er verhaftet und zu einer längeren Jugendstrafe verurteilt worden. Er hatte die Haftstrafe abgesessen und war, um »wertvolle« Erkenntnisse und Fähigkeiten reicher, wieder in die Freiheit entlassen worden. Danach hatte Gellert seine kriminelle Karriere sofort weitergeführt. Auch seine späteren Verbrechen zeichneten sich durch wenig Raffinesse und große Brutalität aus. Er tat nichts, um Spuren zu vermeiden, sondern verschwand nach einem Verbrechen einfach von der Bildfläche, um an einem anderen Ort mit einem neuen Pass und einer neuen Identität wieder sein Unwesen zu treiben. Die Polizei vermutete, dass er mehrere Wohnsitze im Ausland und wohlhabende, einflussreiche Auftraggeber hatte. Fantasie und Lust auf Abwechslung bewies er nicht nur bei seinen kriminellen Machenschaften, sondern auch bei der Wahl der Namen
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