Dornteufel: Thriller (German Edition)
und der Verwandlung seines Äußeren.
Rebecca war zutiefst schockiert. Und dieses … Subjekt war in ihre Wohnung eingedrungen, hatte in ihrer Unterwäsche gewühlt und beim Onanieren ein Foto von ihr betrachtet? Hatte er sie etwa auch früher schon beobachtet? Beobachtete er sie jetzt noch immer? Und was wollte er überhaupt von ihr?
Paul hatte auch Fotos von Gellert an die Mail gehängt. Nach einem Blick auf sein flächiges Gesicht mit den stumpfen Augen, die herausfordernd in die Kamera sahen, wusste Rebecca, dass es ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen würde. Könnte sie ihn erkennen, wenn er ihr auf der Straße begegnete? Im Supermarkt oder gar hier im Gang vor ihrem Büro? Und selbst wenn? Wer sollte ihr dann noch helfen, bei jemandem, der ohne Rücksicht auf die jeweilige Situation einfach zuschlug?
Ob die französische Polizei das alles über Gellert wusste? Natürlich wussten sie es – und wahrscheinlich noch einige unerfreuliche Details mehr. Aber sie sagten es ihr nicht. Warum sie ängstigen, wenn sie sie doch nicht schützen konnten? Nicht vor einem Mann wie Gellert.
Rebecca hatte Angst. Vorher, das wurde ihr nun klar, hatte sie nicht gewusst, was Angst überhaupt war. Jetzt spürte sie sie mit allen Fasern ihres Körpers. Es war ein kaltes Gefühl, das sich in sie hineinfraß; es rumorte in ihren Eingeweiden. Dann kroch es über ihre Haut, die Arme und den Rücken zum Nacken hoch, ließ sie kribbeln und sich spannen. Ihr Gesicht fühlte sich starr an, und jede Bewegung, selbst ein Lächeln und ein Stirnrunzeln, tat ihr weh.
Es klopfte an der Tür. Sie zuckte zusammen, doch es war bloß das wohlbekannte, rhythmische Trommeln mit langen Kunst-Fingernägeln.
Im nächsten Augenblick betrat Sandrine Aubert, ihre Assistentin, den Raum. Sie hielt ein paar Blätter in der Hand und wollte offenkundig zum Schreibtisch gehen, blieb aber abrupt stehen. »Alles in Ordnung, Rebecca?«
»Ja, alles bestens. Ich bin nur … etwas müde heute.«
Sandrine betrachtete sie argwöhnisch. »Ich hab hier noch ein paar Unterlagen. Die sollst du bis morgen durchsehen und unterzeichnen.« Sie kniff die Augen zusammen. »Möchtest du vielleicht, dass ich dir einen Kaffee mache, Rebecca?«
Sandrine bot freiwillig an, ihr einen Kaffee zu kochen? Ansonsten hielt sie streng an ihrem Grundsatz fest, dass eine solche Tätigkeit für eine Frau mit ihrer Ausbildung und ihren Fähigkeiten indiskutabel war. Das hatte sie schon beim Vorstellungsgespräch erwähnt und so bei Rebecca, nicht aber bei ihrem Kollegen, Pluspunkte gesammelt. Doch Rebecca hatte Sandrines Einstellung durchgesetzt und es bisher nicht bereut. Fürs Kaffeekochen gab es schließlich Praktikanten …
»Kaffee wäre meine Rettung«, sagte sie eilig und wandte sich den Unterlagen zu, weil ihr Gesicht sich seltsam starr anfühlte. »Ich revanchiere mich bei Gelegenheit, Sandrine.«
Sie wollte mit einem kleinen Lächeln andeuten, dass diese Bemerkung ironisch gemeint war, doch dann fiel ihr Blick auf den Computerbildschirm. Von dort starrte sie immer noch Frank Gellerts Gesicht mit den stumpfen Augen an. Sie fürchtete plötzlich, dass ihr das Lächeln misslingen könnte.
»Wer ist das?«, hörte sie ihre Assistentin fragen.
»Niemand.« Sie klickte das Foto weg. »Absolut unwichtig.«
21. Kapitel
H AMBURG , D EUTSCHLAND
Kein Job, keine Wohnung, aber eine Einladung zu einer Wohltätigkeitsgala in den Fischauktionshallen: Das war also ihr Status quo. Immerhin hatte sie genügend Geld auf dem Konto, um sich ein dafür passendes Kleid zu kaufen. Julia lächelte schief.
Es war halb elf Uhr abends, und sie war auf dem Weg zur Bushaltestelle am Mühlenkamp. Sonja hatte sie erzählt, sie träfe sich mit einem früheren Kollegen. Es war furchtbar, so zu lügen, aber sie hatte das Gefühl, ihre Freundin schützen zu müssen. Sie wollte nicht, dass Sonja ebenfalls in Schwierigkeiten geriet. Außerdem befürchtete sie, dass ihre Freundin Informationen über ihre Aktivitäten an den Bruder und somit an Serail Almond weitergeben würde, falls er gezielt danach fragen sollte.
Die Busfahrt zum Hauptbahnhof dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Julia wechselte in die U 3 und fuhr weiter in Richtung St. Pauli. Es fühlte sich gut an, unter Menschen zu sein, die ein ganz normales Leben führten, so wie Julia es früher auch getan hatte. Zwischen Leuten, die im täglichen Trott gefangen waren und vielleicht an nächtliche Vergnügungen dachten, an das nächste Wochenende mit dem oder
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