Dornteufel: Thriller (German Edition)
dem Parkplatz am Fährdamm. Wider Erwarten war es keine schwarze Limousine mit getönten Scheiben, sondern nur ein dunkelgrauer, mittelgroßer Audi. Julia sah, dass ein ganzes Stück den Fußweg hinunter zwei Spaziergänger mit ihren Hunden näher kamen. Sie waren zwar noch sehr weit entfernt, aber wenn sie Zeit gewann … Julia wollte ja gern glauben, dass zwei Polizisten sie angesprochen hatten. Es war möglich, dass die beiden Männer vom BKA waren, aber genauso gut konnten sie diejenigen sein, die Paul Renard an einem Baum aufgeknüpft hatten.
»Wer ist eigentlich der längere von Ihnen«, fragte sie den Zwei-Meter-Mann, als sie neben dem Auto standen. »Sie oder Samuelson?« Etwas Besseres fiel ihr im Moment nicht ein, um zu überprüfen, ob die beiden tatsächlich vom BKA waren.
Der Angesprochene stutzte, wusste offensichtlich nicht, was er ihr darauf antworten sollte, und Julias schnell schlagendes Herz schien einen Augenblick lang auszusetzen.
Sein Begleiter sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Gar nicht mal schlecht, Frau Bruck. Aber mein Kollege hier kennt Samuelson nicht persönlich. Ich schon: Samuelson ist nur eine Handbreit größer als ein Schweineeimer. Wenn Sie jetzt bitte einsteigen würden, bevor wir hier einen Volksauflauf hervorrufen.«
P ARIS , F RANKREICH
Nachdem ihm der Flug von New York nach Paris den letzten Nerv geraubt hatte, war Ryan Ferland zu der Einsicht gelangt, dass das ihm verbleibende Leben zu kurz dafür war, sich mit zu vielen Leuten in einen Metallsarg sperren zu lassen, der dann, gegen jede menschliche Vernunft, vom Boden abhob und in halsbrecherischem Tempo durch die Luft raste. Er kaufte sich eine Fahrkarte, die ihn mit dem Zug von Paris nach Hamburg bringen würde.
Das Gespräch mit Rebecca Stern hatte alles auf den Kopf gestellt: Ferland glaubte nun nicht mehr, dass sie direkt oder indirekt Schuld am Tod ihrer Schwester hatte. Auch wenn das Verhältnis zwischen den beiden trotz Moiras Besuch in Paris, oder auch gerade deswegen, nicht besonders innig gewesen zu sein schien. Beide Frauen litten augenscheinlich unter derselben, ihm unbekannten Krankheit – ein schlimmes Leiden, das Moira Stern verunstaltet und sie höchstwahrscheinlich dazu veranlasst hatte, sich das Leben zu nehmen. Er erinnerte sich, wie sie zusammen auf der Feuertreppe gestanden hatten, kurz bevor sie in den Tod gesprungen war. Sie hatte ihn beschworen, sie nicht anzusehen: Für ein Model musste es absolut grauenhaft sein, das jugendliche Äußere zu verlieren und hässlich zu werden. Was würde Rebecca nun tun? Gaben ihre Lebensumstände, ihr guter Job und der feste Freund – darüber hatte sie kurz erzählt – ihr mehr Halt in dieser Situation? Immerhin hatte die Beschäftigung mit dem Mord an dem befreundeten Journalisten sie ein wenig von ihrem eigenen Leid abgelenkt.
Eigentlich sollte nach der Erkenntnis, dass Moira durch eine heimtückische Krankheit in den Tod getrieben worden war, wohl Schluss sein mit den privaten Ermittlungen. Auch war er kein Arzt und konnte Moiras Schwester nicht helfen. Aber die Tatsache, dass Rebecca Stern buchstäblich vom Tod verfolgt wurde – ihre Schwester, die Concierge, dann ihr Freund, der Journalist – und dass von Moiras Leichnam in New York mit einiger Wahrscheinlichkeit unautorisiert Proben genommen worden waren, stachelte weiterhin Ferlands Jagdinstinkt an. Es lenkte ihn von seiner eigenen tödlichen Krankheit ab und beschäftigte ihn … In Paris schien die Spur ins Nichts zu laufen. Aber warum sollte er eigentlich nicht weiter nach Hamburg fahren, um herauszufinden, womit sich dieser Journalist befasst hatte? Nach New York zurückkehren, um bald dort zu sterben, wollte er jedenfalls noch nicht.
Rebecca hatte ihm erzählt, dass ihr Freund Renard in Hamburg mit einer Deutschen namens Julia Bruck hatte sprechen wollen. Er hatte sich für ihre Erfahrungen in einem indischen Forschungszentrum interessiert, das einer Firma namens Serail Almond gehörte. Serail Almond war ein Kosmetikkonzern, bei dem Rebecca Sterns Freund, Noël Almond, in leitender Position arbeitete, wie Ferland herausgefunden hatte. Renard war anscheinend ermordet worden, bevor er die Gelegenheit dazu gehabt hatte, mit Julia Bruck zu reden.
Nun wollte Ferland mit ihr sprechen. Er hoffte, dass er sie finden würde, dass sie gut genug Englisch sprach – und dass sie noch lebte, wenn er in Hamburg eintraf.
H AMBURG , D EUTSCHLAND
»Sie sind hier, weil wir Sie warnen müssen«,
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