Dornteufel: Thriller (German Edition)
immer eine Geduldsprobe. Ferland trommelte abwechselnd aufs Lenkrad, fluchte laut und starrte die Leute in den anderen Fahrzeugen finster an. Im Hintergrund sah er, wie sich Flugzeuge im Dreißig-Sekunden-Takt hintereinander in den grauen Himmel erhoben. Wo wollten die alle hin? Sollten anständige Menschen nicht um diese Uhrzeit schlafen? Hatte das einer unter Kontrolle? Hatte überhaupt noch irgendwer irgendwas auf dieser Welt unter Kontrolle? Sein Vorgesetzter würde eine weitergehende Ermittlung zum Tode von Moira Stern rigoros ablehnen. Es sei denn …
Er versuchte es noch einmal mit dem Telefon. Doch Rebecca Stern ging nicht an ihr Handy. Seine SMS hatte sie auch nicht beantwortet. Diese dumme Pute! Wenn sie am Flughafen erst durch die Sicherheitskontrolle war, würde es eng.
Als er schließlich dort war, stellte er seinen Wagen auf einem der teuren Parkplätze nahe den Terminals ab und hastete in die Abflughalle. Rasch studierte er die Liste der anstehenden Abflüge. Womit flog sie? War es ein Direktflug nach Paris? Air France? Er lief die Schalter ab, suchte ihre schlanke Gestalt mit dem dunklen, akkurat geschnittenen Haar. Es waren einfach zu viele Menschen. Sollte er sie ausrufen lassen? Er befürchtete, dass sie dann erst recht durch die Sicherheitskontrolle zu ihrem Gate verschwinden würde. Denn vermutlich wollte sie ihn nicht sprechen, und wenn sie ihren Namen aus den Lautsprechern hörte, wäre sie gewarnt. Da sah er sie! Sie stand in einer Warteschlange an einem der Schalter.
»Miss Stern, wie schön, Sie zu treffen!«
Rebecca Stern zuckte zusammen und fuhr herum. »Was wollen Sie denn noch? Es ist doch alles geklärt.«
»Nichts ist geklärt. Im Obduktionsbericht wird stehen, dass Ihre Schwester an einem Genickbruch gestorben ist.«
»Ja und?«
»Dann werden die Ermittlungen eingestellt, Miss Stern.«
»Haben Sie ein Problem damit?«
Er zögerte, da er nicht recht wusste, inwieweit er sich ihr offenbaren sollte. »Offen gestanden – ja«, antwortete er schließlich. »Die Geschichte stinkt. Da steckt mehr dahinter. Ihre Schwester wurde in den Tod getrieben, weil … weil sie aussah wie …«
»Wie was?«
»Eine Greisin, ein Zombie. Sie haben ihre Haut doch auch gesehen! Schuppig und höckrig wie die einer Echse. Wir müssen herausfinden, was vor ihrem Tod mit ihr passiert ist.«
»Davor? Das ist lächerlich. In der Leichenhalle war die Rede von einem ungewöhnlich schnell verlaufenden Verwesungsprozess.«
»Das ist Unsinn; ich hab sie kurz nach dem Sturz gesehen«, sagte Ferland.
»Mein Flug geht gleich.«
»Sie müssen nur offiziell Beschwerde gegen die Ermittlung einlegen. Schreiben Sie eine Mail an meinen Vorgesetzten. Mehr verlange ich gar nicht.«
»Warum sind Sie so … engagiert, Mr. Ferland?«
Er wollte sie ein Stück zur Seite ziehen, doch sie weigerte sich, ihren Platz in der Schlange aufzugeben. Na gut, dachte er, dann würden eben alle hier mithören. »Weil mehr hinter dem Tod Ihrer Schwester steckt. Sehen Sie das nicht, oder interessiert es Sie nur nicht?«
»Das ist eine gemeine Unterstellung.«
»Tut mir leid«, lenkte er ein. »Es ist nur: Ich habe nicht mehr viel Zeit, und dieser Fall beschäftigt mich. Tun Sie mir den Gefallen, Miss Stern, und helfen Sie mir, die Wahrheit ans Licht zu bringen.«
»Was meinen Sie mit ›nicht mehr viel Zeit‹? Stehen Sie kurz vor der Pensionierung?«
»Ich bin krank. Meine Überlebensprognose ist nicht gerade berauschend, sagen die Ärzte.«
»Und dann wollen Sie Ihre kostbare Zeit meiner toten, ihres Lebens überdrüssigen Schwester opfern?« Ihre sonst so wohltemperierte Stimme klang ätzend.
»Ich will die Wahrheit ans Licht bringen.«
»Sehen Sie, jeder will halt etwas anderes. Ich will einfach nur vergessen.« Sie blickte auf ihre Uhr. Ein Schweizer Fabrikat, klein und elegant, mit Diamanten besetzt. »Im Gegensatz zu meiner Schwester habe ich nämlich noch ein Leben.« Sie drehte sich um, den Blick stur auf den Nacken des vor ihr anstehenden Mannes gerichtet.
Ferland war bestürzt. Diese Frau ließ ihn einfach mitten in der Abflughalle stehen wie einen verdammten Idioten.
B IHAR , I NDIEN
Der Weg führte Julia durch Reis- und Gemüsefelder. Es war unerträglich heiß. Sie sah Menschen in gebückter Haltung auf den Feldern arbeiten und kam sich verweichlicht und wehleidig vor, wenn sie an ihnen vorbeihumpelte. Als der Feldweg eine größere Straße kreuzte, kaufte sie sich an einem Stand Wasser in Kunststoffflaschen
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