Down Under - Reise durch Australien
registrierte ich, dass er einen ansehnlichen Stock gefunden hatte! Das schien schlichtweg unmöglich, denn rund um uns herum gab es nichts außer Salz, Sand, Steppe mit einigen armseligen Büschen und Dünen, auf denen Grasbüschel wuchsen. Von einem Baum war im Umkreis von Meilen aber auch gar nichts zu sehen. Timothy entfernte einige abstehende Astreste und reichte mir dann den Stock.
»So, dann probier mal und komm mit mir.«
Die behelfsmäßige Krücke war tatsächlich eine große Entlastung, und so folgte ich mit den anderen Timothy hinüber zur nächsten Düne, die wir alle zusammen hinaufstapften. Oben angekommen, bedeutete er mir, mich hinzusetzen. Dann begann er, kleine Grasbüschel rings um uns herum auszurupfen. Als er der Meinung war, dass es genügte, setzte er sich zu mir und rieb das Gras heftig in seinen Händen. Staunend beobachteten wir, wie sich das vorher braune Gras unter dem Druck seiner Finger in ein weißes Pulver verwandelte. Als er fertig war, nickte er mir aufmunternd zu, und ich krempelte meine Jeans hoch und zog die Socke herunter. Mit leichtem Druck rieb Timothy dann das Pulver auf die Schwellung und massierte es ein, während er unablässig in seiner eigenen Sprache leise etwas vor sich hin redete. Als er die Behandlung beendet hatte, lächelte er mich an.
»Eigentlich müsstest du es einige Tage hintereinander einreiben. Aber es wird auch so helfen. Unsere Heilkunst beruht auf dem Wissen, dass jeder Mensch jede Krankheit durch seine eigene Kraft heilen kann. All das, was man auftragen oder einnehmen kann, kann diese innere Kraft nur unterstützen. Denk daran, und du wirst in einigen Tagen nichts mehr spüren.«
Er sollte recht behalten. Der Schmerz in meinem Bein war beinahe sofort verschwunden, und die Schwellung ließ einige Tage später nach und verschwand schließlich ganz.
Wir Stadtmenschen bekommen automatisch Zweifel, wenn wir so etwas hören, ja selbst wenn wir es am eigenen Leib erlebt haben, aber wir sollten wenigstens versuchen, einen Teil der inneren Kraft eines Aborigine für uns anzunehmen.
An diesem Abend luden uns die beiden noch zu sich nach Hause ein, und die langen Stunden mit vielen alten Geschichten, die uns Timothy und Jeff zu erzählen wussten, werde ich für immer in meinem Gedächtnis bewahren. Sandy und ich haben durch diese Begegnung ein Stück Gelassenheit fürs Leben mitbekommen. Und ich hoffe, dass ich mein eigenes Stück noch mit vielen Menschen teilen kann.
* * *
Vielleicht interessiert es ja jemanden, wie man auf einer Tour durch weitgehend unerschlossenes Gebiet auf die Toilette geht. Also, mich hat es interessiert! Die Spezies des gemeinen Touristen reist für gewöhnlich von Motel zu Motel oder übernachtet bei geführten Touren auf Campingplätzen, wo man meist ausreichende sanitäre Einrichtungen vorfindet. Lagert man jedoch mitten in der Wildnis, gibt es weit und breit kein Klohäuschen, in das man sich zurückziehen kann. Auf der Tour mit Colin verbrachten wir einige Nächte in freier Natur. So etwas wie Privatsphäre gibt es im Outback in dieser Hinsicht nicht, und vor allem in Gegenden, wo das Gelände über viele Hundert Kilometer flach wie eine Pfanne ist, kann man nicht eben hinter dem nächsten Baum verschwinden, ganz einfach, weil es keine Bäume gibt. Bei der ersten entsprechenden Situation zu Beginn unserer Fahrt stellte Nick die entscheidende Frage.
»Wo kann man denn hier mal verschwinden?«
Colin grinste über das ganze Gesicht, kletterte in seinen Wagen und kam kurz darauf mit einer Schippe und einer darüber gestülpten Klopapierrolle zurück.
»Darf ich euch George vorstellen?«, lachte er in die Runde. »Das ist unser Freund, der jeden von euch aufs Klo begleiten wird!« Dann machte er eine weit ausholende Geste, zeigte in die Umgebung und drehte sich einmal im Kreis. »Und das ist unser Badezimmer!«
»Wie …?«, machte ich, als mir ein Licht aufging. Ich hatte tatsächlich gedacht, wir hätten vielleicht so eine Art Chemieklo dabei. »Du meinst …?«
»Ganz recht. Wer mal muss, greift sich George und entfernt sich bitte eine Meile vom Lager, buddelt ein Loch, macht, was er eben machen muss, und schippt die Bescherung schön wieder zu.«
»Eine ganze Meile?«
Colin schaute in Nicks entgeistertes Gesicht und zwinkerte ihm zu.
»So weit wie nötig eben, damit es dir nicht peinlich wird und zu uns nichts rüberweht! Und ich bitte euch wirklich, eure Hinterlassenschaften gründlich wieder zuzuschütten, um keine
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