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Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre

Titel: Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jefferson Bass
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die mit anderen Geschichten verwebt waren. Wie das Leben, Bill, aber ohne die langweiligen Teile. Scheherazade, die Königin der Cliffhanger. Jeden Tag zur Morgendämmerung, wenn er ihr den Kopf abhacken wollte, ließ sie die Handlung an einer spannenden Stelle abbrechen.«
    »Ich bin auch sehr gespannt auf das eine oder andere«, sagte ich.
    Sie schwieg. »Ich könnte schon noch ein Kapitel hervorkramen«, sagte sie schließlich. »Wie bald soll ich Sie erwarten?«
    »Ich könnte in einer halben Stunde bei Ihnen sein, aber wenn Ihnen das lieber ist, kann ich auch noch ein bisschen warten.«
    »Nicht nötig. Tempus fugit, Bill. Sic transit gloria mundi. «
    »Was?«
    »Die Zeit vergeht, ebenso wie der Ruhm der Welt. Ich mache die Tür auf und schenke mir schon mal einen Wodka ein.«
    »Beatrice, es ist erst neun Uhr vormittags.«
    »Irgendwo in der Welt ist es fünf Uhr nachmittags. Die Welt ist groß, Bill. Ziehen Sie Ihre Grenzen nicht zu eng.« So früh am Tag lag der Gehweg vor ihrer Haustür tief im Schatten des Dachvorsprungs und der immergrünen Bäume. Die Redwoodvertäfelung glühte jedoch schon warm in der Morgensonne, die durch die Fenster hineinströmte. Ich läutete, hauptsächlich, um den klaren, hohen Ton zu hören, der erklang, wenn man am Klöppel zog. Dann trat ich wie gewohnt ein und rief: »Beatrice? Ich bin’s, Bill.«
    Sie antwortete nicht, also ging ich in Richtung Wohnzimmer. Sie saß in ihrem Lehnsessel, und als ich eintrat, hob sie zum Gruß ein Glas Wodka.
    Sie winkte mich zu meinem Sessel, und ich setzte mich und fing an zu schaukeln. Eine dampfende Tasse Tee stand auf dem Beistelltisch. Ich nahm den Becher und legte die Hände darum, froh über die Wärme, denn innerlich war mir kalt.
    Sie musterte mich mit wässrigen Augen. »Was für eine Geschichte möchten Sie heute hören?«
    »Heute würde ich gern eine wahre Geschichte hören«, sagte ich und erwiderte ihren Blick. »Die wahre Geschichte über den Tod von Jonah Jamison.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Mir ist heute etwas aufgegangen«, sagte ich. »Vielleicht habe ich auch etwas gehört. Es war, als würden Jonahs Knochen mir etwas zuflüstern, als hätte auch er eine Geschichte zu erzählen.«
    »Und was war das für eine Geschichte? Was hat er geflüstert?«
    »Er hat geflüstert, dass er sich nicht selbst erschossen hat.«
    Sie beugte sich vor und neigte leicht den Kopf – wahrscheinlich exakt die Pose, in der ich ihr in den vergangenen zwei Wochen stundenlang zugehört hatte. Dann runzelte sie die Stirn und schüttelte den Kopf. »Zurück«, befahl sie mir. »Sie sind gerade direkt zum Schluss gehüpft. Fangen Sie ganz vorne an.«
    Ich war verwirrt. »Wo ganz vorne?«
    »Am Anfang der Geschichte, die Jonahs Knochen Ihnen erzählt haben. ›Es war eine finstere und stürmische Nacht im anthropologischen Labor …‹ oder wie auch immer. Beschreiben Sie die Szene, lassen Sie sie sich entfalten. Haben Sie denn nichts von mir gelernt?«
    »Ah«, sagte ich. »Also, wer wird hier wegen des Unterhaltungswerts in der Nähe gehalten? Ich bin kein so guter Geschichtenerzähler wie Sie.«
    »Niemand ist so gut wie ich.« Sie lächelte. »Aber Sie müssen es weiter versuchen. Das ist die einzige Möglichkeit, besser zu werden.«
    Ich überlegte einen Augenblick, dann holte ich tief Luft und fing an. »Der Hund des Nachbarn hat mich heute vor der Morgendämmerung geweckt«, sagte ich. »Nicht weil er laut gebellt hat – es war nur ein leises Aufjaulen –, sondern weil ich schon halb wach war. Ich habe schlecht geschlafen. Weil ich mich über irgendetwas aufgeregt habe. Ich wusste nicht mal, was es war, aber ich wusste, wo es war. Es lag auf meinem Tisch unterhalb des Stadions. Unten in dem Labyrinth, dessen Fenster aussehen, als wären sie seit der Zeit des Manhattan-Projekts nicht mehr geputzt worden.«
    Sie nickte. »Viel besser«, sagte sie. »Fahren Sie fort.«
    »Immer wenn ich das Gefühl habe, ich übersehe in einem Fall etwas, lege ich die Knochen so auf dem Tisch aus, dass ich sie gut sehen kann. Ab und zu unterbreche ich das, was ich gerade tue – Klausuren benoten, einen Artikel in einer Fachzeitschrift lesen oder ein Sandwich essen –, und betrachte die Knochen. Ich versuche, den Kopf so leer zu machen, wie es nur irgend geht, und nur zu schauen, in der Hoffnung, dass mich etwas Neues überrascht. Sich mir präsentiert. Zu mir spricht. Es ist, als versuchte ich, mich an etwas heranzuschleichen, was ich tief im Innersten

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